Die Entscheidung des OLG Celle ist nach meiner Auffassung nicht richtig. Das OLG hatte sich hier mit zwei Problemen zu befassen, nämlich einmal mit der Frage, ob Rechtsanwalt B an seine im Kostenfestsetzungsantrag vom 12.10.2018 zum Ausdruck gekommene Bestimmung der Rahmengebühren nach Nrn. 4112, 4113, 4114 VV RVG gebunden war, und zweitens, ob einer Stattgabe des Nachfestsetzungsantrags mit den Gebühren Nrn. 4118, 4119, 4120 VV RVG die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 3.12.2018 entgegensteht. Beides ist hier zu verneinen.

Bindung des Rechtsanwalts an die Gebührenbestimmung

Grundsatz

Hat der Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 RVG die ihm obliegende Bestimmung der Rahmengebühr(-en) getroffen, so ist er an diese Bestimmung grds. gebunden (BGH NJW 1987, 3203 = zfs 1987, 323; OLG Koblenz AGS 2000, 88; LG Köln DAR 1988, 292 jeweils zu § 12 Abs. 1 BRAGO; OLG Köln AGS 2009, 325 mit Anm. Schneider; Bay. LSG, Beschl. v. 29.4.2013 – L 15 SF 160/12 B; Hess. LSG RVGreport 2011, 419 [Hansens]; Thür. LSG RVGreport 2019, 210 [Hansens]; AnwKomm-RVG/Onderka/Schneider, 8. Aufl., § 14 Rn 93; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 24. Aufl., § 14 Rn 4; Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., Teil 1 Rn 133).

Ob dies ausnahmsweise dann nicht gilt, wenn die von dem Rechtsanwalt getroffene Gebührenbestimmung unbillig ist, was das Thür. LSG RVGreport 2019, 210 (Hansens) erörtert hat, erscheint zweifelhaft. Die diesbezügliche Regelung in § 315 Abs. 3 S. 2 BGB, wonach die Bestimmung im Falle der Unbilligkeit durch Urteil getroffen wird, hat eher den Fall der zu hohen Gebühr im Blick (siehe Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 RVG Rn 5).

Ausnahmen

Ausnahmsweise ist die von dem Rechtsanwalt vorgenommene Bestimmung der Rahmengebühr in folgenden Fällen nicht bindend:

Der Anwalt hat sich eine Erhöhung der Rahmengebühr ausdrücklich und erkennbar vorbehalten (Hansens/Braun/Schneider, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O., § 14 RVG Rn 4; AnwKomm-RVG/Onderka/Schneider, a.a.O., § 14 RVG Rn 94).
Der Rechtsanwalt hat einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen (Hess. LSG RVGreport 2011, 419 [Hansens]; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O.; Hansens/Braun/Schneider, a.a.O.; a.A. Meyer JurBüro 2007, 472, 473).
Der Auftraggeber hat den Anwalt über die Bemessungskriterien getäuscht (Meyer JurBüro 2007, 472, 473; Gerold/Schmidt/Mayer, a.a.O.; Hansens/Braun/Schneider, a.a.O.). Ein solcher Fall kann beispielsweise dann vorliegen, wenn der Auftraggeber dem Anwalt seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die für die Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG maßgeblich sind, nicht richtig mitteilt. Stellt sich dann nach Abrechnung heraus, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten besser waren als diejenigen, die der Anwalt seiner Gebührenbestimmung zugrunde gelegt hat, kann der Anwalt dies auch im Nachhinein berücksichtigen. Dies gilt allerdings nur für den Fall der Täuschung. Hat der Rechtsanwalt hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten keine Ermittlungen vorgenommen, ist er nicht getäuscht worden, sodass er an seine ursprüngliche Gebührenbestimmung gebunden ist.
Der Anwalt setzt seine Tätigkeit in derselben Angelegenheit nach erfolgter Abrechnung und Gebührenbestimmung fort. Für die nach Fortsetzung seiner Tätigkeit zu berücksichtigenden weiteren Umstände darf der Rechtsanwalt dann eine neue Gebührenbestimmung vornehmen. Gebunden ist er in einem solchen Fall nur hinsichtlich der Umstände, die er bereits bei der ersten Rechnung berücksichtigen konnte (Hansens/Braun/Schneider, a.a.O.; AnwKomm-RVG/Onderka/Schneider, a.a.O.).

Hier liegt m.E. eindeutig der zweite Ausnahmefall (übersehener Gebührentatbestand) vor. Rechtsanwalt B hat in seinem Kostenfestsetzungsantrag die Mittelgebühren der Nrn. 4112, 4123, 4114 VV RVG geltend gemacht und damit übersehen, dass er für seine Tätigkeit vor dem Schwurgericht richtiger Weise die Gebühren nach den Nrn. 4118, 4119, 4120 VV RVG hätte abrechnen müssen. Damit hat der Anwalt die für die Tätigkeit vor dem Schwurgericht geschaffenen Gebührentatbestände übersehen. Ein Übersehen im Sinne dieser Ausnahmeregelung liegt somit nicht nur dann vor, wenn der Anwalt einen Gebührentatbestand insgesamt übersehen hat, etwa eine Terminsgebühr gar nicht berücksichtigt hat, sondern auch dann, wenn er seiner Gebührenbestimmung einen unrichtigen Gebührentatbestand zugrunde gelegt hat. Die Bindungswirkung der Gebührenbestimmung ist auch nur hinsichtlich der Gebühren nach Nrn. 4112, 4113, 4114 VV RVG eingetreten, da der Rechtsanwalt die geltend gemachten Mittelgebühren nur diesen Gebührentatbeständen entnommen hat. Die tatsächlich angefallenen Gebühren nach den Nrn. 4118, 4119, 4120 VV RVG, die einen deutlich höheren Gebührenrahmen vorsehen, waren gar nicht Gegenstand des Kostenfestsetzungsantrags vom 12.10.2018 und damit auch nicht Gegenstand der Gebührenbestimmung. Insoweit konnte auch keine Bindungswirkung der Bestimmung von ganz anderen Gebühren eintreten.

Zulässigkeit der N...

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