a) Bei der Verletzung von Schutzgesetzen sowie von Unfallverhütungsvorschriften spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Verstoß für den Schadenseintritt ursächlich war, sofern sich gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, der das Schutzgesetz oder die Unfallverhütungsvorschrift entgegenwirken soll.[1] Der Beweis des ersten Anscheins ist auch bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten geboten, die wie Schutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften typischen Gefährdungen entgegenwirken sollen, wenn sich in dem Schadensfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht, der durch die Auferlegung bestimmter Verhaltenspflichten begegnet werden soll.[2] Nach diesen Grundsätzen spricht der Beweis des ersten Anscheins für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Nichtbenutzen eines Schutzhelms und den eingetretenen Kopfverletzungen, wenn ein Kraftfahrer bei einem Unfall Kopfverletzungen erleidet, vor denen der Schutzhelm allgemein schützen soll.[3] In solchen Fällen liegt also grundsätzlich ein Mitverschulden des Motorradfahrers vor.

b) Indessen setzt ein Anscheinsbeweis voraus, dass ein typischer Geschehensablauf vorliegt.[4] Deshalb hat der BGH[5] das Mitverschulden einer Quadfahrerin verneint, die in einem Erlebnispark mit einer Gruppe von Arbeitskollegen ohne Schutzhelm gefahren war. Die Klägerin war vom Weg abgekommen, in die Böschung gefahren und gestürzt. Dabei geriet sie unter das Fahrzeug und erlitt eine schwere offene Nasenbeintrümmerfraktur sowie eine Septumtrümmerfraktur mit einer stark blutenden Risswunde im Stirn-/Nasenwurzelbereich. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war ein detaillierter Vortrag zum Unfallhergang und zur genauen Entstehung der Verletzungen nicht erfolgt. Zudem lag eine Gesichtsverletzung vor, die dadurch verursacht wurde, dass ein Fahrzeugteil das Gesicht der Klägerin getroffen hat. Unter diesen Umständen kann nicht typischerweise darauf geschlossen werden, dass das Tragen eines offenen Schutzhelms den Aufprall verhindert oder zumindest vermindert hätte. Ein solcher Helm schützt zwar typischerweise den oberen Kopfteil und den Hinterkopf, kann aber nur unter besonderen Umständen die Nasenwurzelregion und die Nase vor aufprallenden Fahrzeugteilen schützen. Deshalb war zumindest von der ernsthaften Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs auszugehen.

Der BGH hat für den Zeitpunkt des Unfalls im Jahre 2002 nicht verlangt, über die Ausstattung mit offenen Schutzhelmen hinaus einen sog. Integralhelm, also einen Helm mit einem Visier als Gesichtsschutz zu tragen. Maßgeblich dafür war, dass sich der Gesetzgeber erst ca. drei Jahre nach dem Unfall dazu entschlossen hat, Fahrer eines Quads überhaupt der Schutzhelmpflicht zu unterwerfen.[6]

c) Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen Fahrradfahrer ein Mitverschulden trifft, wenn sie keinen Helm tragen.

Nach der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung begründet das Radfahren ohne Schutzhelm – zumindest bei Erwachsenen – nicht oder zumindest nicht ohne Weiteres – den Vorwurf des Mitverschuldens.[7] Teilweise wird – insbesondere bedingt durch die zunehmende Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen – ein differenzierter Standpunkt eingenommen. Es wird zwischen dem "normalen" Freizeitfahrer, der sein Gefährt als normales Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr ohne sportliche Ambitionen einsetzt, und sportlich ambitionierten Fahrern, wie etwa Rennradfahrern, unterschieden und nur bei letzteren eine Obliegenheitsverletzung beim Nichttragen von Schutzhelmen angenommen.[8] Der Bundesgerichtshof konnte diese Frage in seinem Urt. v. 4. November 2008 offenlassen, weil das Tragen eines Fahrradhelms die eingetretenen Verletzungen nicht hätte verhindern können.[9]

[1] Vgl. BGH VersR 1983, 440 f.; 1986, 916, 917; 2008, 1551 Rn 20.
[2] Vgl. BGH VersR 1994, 324, 325; 2008, 1551 Rn 20.
[3] Vgl. BGH VersR 1983, 440 f.; 2008, 1551 Rn 20.
[4] Vgl. BGH VersR 1991, 195 m.w.N.; 2008, 1551 Rn 20.
[5] BGH VersR 2008, 1551 Rn 20 f.
[6] Vgl. BGH VersR 2008, 1551 Rn 14 ff.
[7] Vgl. OLG Hamm NZV 2001, 86; OLG Hamm NZV 2002, 129, 131; OLG Stuttgart VRS 97 (1999), 15, 18; OLG Nürnberg VersR 1991, 354; OLG Nürnberg DAR 1999, 507; OLG Karlsruhe NZV 1991, 25; OLG Düsseldorf NZV 2007, 619; OLG Saarbrücken VersR 2008, 982, 983 f.
[8] OLG Düsseldorf NZV 2007, 614, 618; 2007, 619, 621 f.; OLG Saarbrücken VersR 2008, 982, 984; zur Kritik vgl. etwa Kettler, NZV 2007, 603, 604 ff.; Rebler DAR 2009, 386, 387.

3. Fahren ohne Fahrerlaubnis – Kausalität

Der Beklagte hat, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, den Vater der Klägerin, der außerorts betrunken auf der rechten Fahrbahnseite lag, bei einer Geschwindigkeit von 90 km/h unterhalb der Stoßstange am Kopf erfasst und tödlich verletzt. Der BGH[1] hat gebilligt, dass das Berufungsgericht bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung das Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis nicht berücksichtigt hat.

In die Abwägung nach §§ 254 BGB, 9 StVG sind alle, aber auch nur di...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge