OWiG § 62; StPO § 147

Leitsatz

Mit Vorlage des Bußgeldverfahrens an das AG wird das gerichtliche Bußgeldverfahren anhängig und die nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Abteilung zuständig. Dieser obliegen ab dem Verfahrenseingang auch alle terminsvorbereitenden Entscheidungen, einschließlich der Frage nach der Gewährung von Einsicht in die Akten oder sonstige Unterlagen. Insoweit darf ein nach dem Vorverfahren erneut gestelltes Einsichtsgesuch nicht dem zuvor nach § 62 OWiG befassten Richter erneut vorgelegt werden, sofern die richterlichen Zuständigkeiten für Entscheidungen nach § 62 OWiG und für das gerichtliche Bußgeldverfahren divergieren. Ist dies der Fall, lässt sich auch aus einer früheren Zuständigkeit nicht etwa eine Annexkompetenz herleiten.

LG Heidelberg, Beschl. v. 9.9.2019 – 11 Qs 17/19 OWi

Sachverhalt

Nachdem der Betr. gegen einen Bußgeldbescheid fristgerecht Einspruch eingelegt und die Bußgeldbehörde das Verfahren über die Staatsanwaltschaft an das AG weitergleitet hatte, beantragte die Verteidigerin Einsicht in die Verfahrensakte sowie Einsicht in die bei der Geschwindigkeitsmessung angefallene Messreihe mit Rohmessdaten, Statistikdatei, Case-List, Token-Datei und Passwort, in Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise sowie in den Beschilderungsplan und die verkehrsrechtliche Anordnung zur Geschwindigkeitsbeschränkung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den besagten Antrag verwiesen.

Dieser Antrag wurde von demjenigen Richter des AG Heidelberg abgelehnt, der ausschließlich für die Bearbeitung der Verfahren der gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG zuständig ist und bereits einmal – vor der Abgabe an das AG – in dieser Funktion ein gleichlautendes Ersuchen abgelehnt hatte. Der darauf von der Verteidigerin eingelegten Beschwerde half wiederum dieser Richter nicht ab und legte das Beschwerdeverfahren mit Nichtabhilfebeschluss der Kammer vor. Das LG Heidelberg hat auf die Beschwerde des Betr. den Beschluss des AG und den Nichtabhilfebeschluss aufgehoben.

2 Aus den Gründen:

"Die Beschwerde ist vorliegend zulässig und begründet, ohne dass es auf die Beantwortung der umstrittenen Fragen zum Umfang des Einsichtsrechts in Bußgeldverfahren und zur Möglichkeit, Rechtsmittel gegen eine Einsichtsversagung einlegen zu können, ankäme. Denn der ablehnende Beschluss leidet unter dem hier durchgreifenden Mangel, dass er vom unzuständigen Richter erlassen wurde, der ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des AG ausschließlich für Verfahren nach § 62 OWiG zuständig ist. Mit am 25.4.2019 über die Staatsanwaltschaft erfolgter Vorlage des Bußgeldverfahrens an das AG wurde das gerichtliche Bußgeldverfahren anhängig und die nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Abteilung 15 zuständig. Dieser obliegen ab dem Verfahrenseingang auch alle terminsvorbereitenden Entscheidungen, einschließlich der Frage nach der Gewährung von Einsicht in die Akten oder sonstige Unterlagen. Insoweit durfte das erneute Gesuch vorliegend nicht dem vormals im Verfahren nach § 62 OWIG befassten Richter erneut vorgelegt werden, für den sich auch aus seiner früheren Zuständigkeit nicht etwa eine Annexkompetenz herleiten lässt. Vielmehr hat nunmehr der zuständige Abteilungsrichter den Einsichtsantrag in eigener Zuständigkeit zu bescheiden, weshalb der versagende Beschluss und der Nichtabhilfebeschluss aufzuheben waren."

Die Kostenentscheidung im vorliegenden Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 StPO.“

Mitgeteilt von RA Alexander Gratz, Bous

3 Anmerkung:

Eine Entscheidung mit viel Potential für Störfeuer im Bußgeldverfahren, jedenfalls dann, wenn die richterlichen Zuständigkeiten für Anträge nach § 62 OWiG und für das gerichtliche Bußgeldverfahren auseinanderfallen. Aber auch eine weitere Konstellation kann dafür sorgen, dass der gesetzliche Richter zum Problem wird: Die Bußgeldstellen sind offenbar dazu übergegangen, bei Anträgen nach § 62 OWiG ein Aktendoppel herzustellen und dieses an das AG zu schicken, parallel aber das Verfahren weiterzuführen und die Abgabe nach § 69 OWiG vorzunehmen. Bei divergierenden Zuständigkeiten kann eine bis zum Eingang der Akten bei Gericht noch nicht vorgenommene Entscheidung nach § 62 OWiG also dazu führen, dass der bis dahin zuständige Richter unzuständig wird. Der Verteidiger muss diesbezüglich also ein ebenso gutes Aktenmanagement betreiben wie die Amtsgerichte, um hier Friktionen zu vermeiden. Dies hat auch ganz praktische Gründe: Eine Abgabe nach § 69 OWiG löst anwaltliche Gebühren aus, die bei vorheriger Abarbeitung des Antrags nach § 62 OWiG und danach erfolgter Rücknahme des Einspruchs nie angefallen wären.

RiAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 1/2020, S. 52

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