"… II. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 OWiG)."

Die Rechtsbeschwerde ist zur Untermauerung und Festigung der bestehenden Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 26.4.2017 – 2 Ss-OWi 295/17, NStZ 2017, 588, 590, sog. Lauterbach-Entscheidung) zur gesetzeswidrigen Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister, hier überlassener Arbeitnehmer einer juristischen Person des Privatrechts, der bei einer örtlichen Ordnungsbehörde im Bereich der Verkehrsüberwachung tätig ist, zuzulassen. Die hiermit in Zusammenhang stehende abstraktionsfähige und entscheidungserhebliche Rechtsfrage bezieht sich auf die daraus resultierenden prozessualen Folgen.

Die Untermauerung und Festigung der bestehenden Rechtsprechung erscheint hier geboten, weil der vorliegende Fall exemplarisch zeigt, dass auf der Ebene der Ortspolizeibehörden in Hessen trotz der unmissverständlichen Grundsatzentscheidung des Senats vom 26.4.2017 (2 Ss-OWi 295/17, NStZ 2017, 588, 590) und des klaren Hinweises an die Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums, die Missstände bei der kommunalen Verkehrsüberwachung abzustellen, zumindest einige Bürgermeister als Ortspolizeibehörden bei der kommunalen Verkehrsüberwachung weiterhin gesetzwidrig agieren. Dies ist vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes dem Rechtsfrieden und dem Vertrauen in die Rechtmäßigkeit polizeilicher Verkehrsüberwachung abträglich.

Da der vorliegende Fall kein Einzelfall ist, sondern nach den Feststellungen des AG weitere Kommunen betroffen und zwischenzeitlich auch aus anderen Bezirken Verfahren beim Senat anhängig gemacht worden sind, wird das Verfahren wegen seiner rechtlichen Bedeutung zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 80a OWiG).

III. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird, wie von der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend beantragt, als unbegründet verworfen. Das AG hat den Betr. zu Recht freigesprochen.

Die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung durch den gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der Gemeinden C und A ist gesetzeswidrig. Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Stadt 1 keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen.

1. Die Ortspolizeibehörde des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinde C und A hat in gesetzeswidriger Weise die ihr hoheitlich zugewiesene Verkehrsüberwachung durch einen privaten Dienstleister durchführen lassen.

Die Überwachung des fließenden Verkehrs ist Kernaufgabe des Staates. Sie dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der am Verkehr teilnehmenden Bürger. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe, die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und deswegen bei Verstößen berechtigt, mit Strafen und/oder Bußgeldern zu reagieren. Sie ist ausschließlich Hoheitsträgern, die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen, übertragen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits sehr früh in grundlegender Art und Weise dargelegt, “dass die Sicherheit des Staates als verfasster Friedensgrundordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung Verfassungswerte sind, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letztliche Rechtfertigung herleitet' (so BVerfGE 49, 24, 56 f. = NJW 1978, 2235, vgl. auch BVerfGE 46, 160, 164 f. = NJW 1977, 2255).

In der Folge kann der Staat nicht die Regelungs- und Sanktionsmacht, die er von der Bevölkerung zur Begründung seiner eigenen Legitimation an sich zieht, so ohne Weiteres wieder an “private Dienstleister' abgeben, damit diese dann für ihn als “Subunternehmer' ohne Legitimation hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Mit dem Recht, etwas zu “dürfen', folgt nicht automatisch das Recht, mit diesem “Dürfen' beliebig umzugehen. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass der Staat die ihm gewährte Macht im Rahmen der ihm gewährten Regelungskompetenz eigenverantwortlich ausübt und nach Prinzipien eines Rechtsstaates gerichtlich überprüfbar rechtfertigt.

Will ein staatliches Exekutivorgan die ihm gewährte Regelungs- und Sanktionsmacht delegieren, muss es dafür eine im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung (Legislative) ergangene Ermächtigungsgrundlage haben. Soweit es sich nicht ohnehin um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grds. nicht übertragbar sind, wozu insb. Justiz, Polizei und die Fiskalverwaltung gehören, muss in dieser Ermächtigungsgrundlage klar und eindeutig bestimmt sein, was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird (vgl. z.B. § 27c Abs. 2 LuftVG).

Eine derartige Rechtsgrundlage, die eine Übertragung der staatlichen Verkehrsüberwachung auf private Dienstleister ermöglicht, ist nicht erlassen...

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