1. Das Auffahren auf das Fahrzeug des Bekl. zu 2) begründete den Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Auffahrende unaufmerksam war (§ 1 StVO), oder keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 S. StVO) oder eine überhöhte Geschwindigkeit gewählt hatte (§ 3 StVO). Der Sicherheitsabstand war nicht nach der üblichen Faustregel zu bemessen, da er dem in 1,5 Sekunden zurückgelegten Weg entsprach (vgl. die Nachweise in der Anmerkung zu AG Solingen zfs 2003, 539). Ein geringerer Abstand war zulässig, da eine Anfahrsituation bei auf Grün umspringender Lichtzeichenanlage vorlag. Der Straßenverkehr käme zu Erliegen, wenn auch in dieser Verkehrssituation ein größerer Sicherheitsabstand eingehalten werden müsste (vgl. OLG Hamm VRS 28, 385; Gutt, in: Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 4 StVO Rn 7; Heidelberger Kommentar/Walther, StVO, § 4 Rn 12, 13).

2. Grds. gilt für den Vorausfahrenden bei dieser Verkehrssituation das Verbot des starken Bremsens (§ 34 Abs. 1 S. 2 StVO). Dieses Verbot wird aufgehoben, wenn ein zwingender Grund für das Bremsen besteht. Wurden früher als zwingende Gründe ernste Gefahren für Leib und Leben von Menschen und bedeutende Sachwerte angenommen, wurde für den Fall des Ausweichens vor Kleintieren ein zwingender Grund verneint (vgl. die Nachweise der Anmerkung zu AG Solingen zfs 2003, 540; Burmann/Heß/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl., § 4 StVO Rn 17; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 4 StVO Rn 15).

Vor der Erweiterung des Tierschutzes wurde eine Güterabwägung angestellt, bei der der meist geringere Wert des Tieres mit dem drohenden Sachschaden verglichen wurde. Lag der Wert des Tieres – wie meist – unterhalb des Wertes des drohenden Sachadens, war der Fahrer des Pkw nicht berechtigt zu bremsen (vgl. OLG Saarbrücken DAR 1988, 382; vgl. auch Andrilewski NZV 2001, 61 ff.). Nach der Einführung des erweiterten Tierschutzes durch Art. 20a GG und § 90a BGB, wonach Tieren Mitgeschöpfe des Menschen (BT-Drucks 17 543/1) und keine Sachen sind, ist dieser materielle Wertevergleich verfehlt. Der Verfassungsrang des Tierschutzes (Obergfell NJW 2002, 2296) schließt diese Begründung aus.

Lediglich dann, wenn durch das Bremsen drohende Schäden an Leib und Leben begründet wurden, durfte von einem Bremsen abgesehen werden.

RiOLG a.D. Heinz Diehl

zfs 1/2019, S. 18 - 20

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