"… [11] III. Die Rechtsbeschwerden sind statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Sie sind aber unbegründet."

[12] 1. Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass das Vorliegen des Aussetzungsgrundes uneingeschränkt zu überprüfen ist (BGH NJW-RR 2006, 1289 Rn 6; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 252 Rn 8). Ebenso zutreffend geht es davon aus, dass ein solcher gegeben ist.

[13] a) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden ermöglicht § 149 Abs. 1 ZPO die Aussetzung eines Zivilverfahrens auch dann, wenn bereits vor dem Zivilverfahren an anderer Stelle der Verdacht einer Straftat besteht und im Hinblick auf diesen ausgesetzt werden soll (vgl. OLG Köln VersR 1973, 473; BeckOK ZPO/Wendlandt, 27. Ed., 12/2017, § 149 Rn 4; MüKoZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, § 149 Rn 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl. 2018; Smid, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 149 Rn 2; Dörr, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 149 Rn 1).

[14] aa) Der Wortlaut der Norm, wonach das Gericht, wenn sich "im Laufe eines Rechtsstreits" der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen kann, steht dem nicht entgegen. Denn die Norm richtet sich an das Zivilgericht und ermächtigt es, nach eigenständiger Prüfung das Verfahren unter den näher beschriebenen Voraussetzungen auszusetzen. Die Wendung "im Laufe des Rechtsstreits" ist im Kontext mit dem Adressaten der Norm daher so zu verstehen, dass es auf den – naturgemäß erst nach Beginn des Zivilverfahrens – entstehenden Verdacht des mit der Sache befassten Zivilgerichts ankommt (so auch schon OLG Köln VersR 1973, 473; OLG Frankfurt a.M. VersR 1982, 656; zust. Stein/Jonas/Roth, § 149 Rn 3; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 149 Rn 2).

[15] bb) Dies entspricht auch Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn der Normzweck besteht darin, es dem Zivilgericht zu ermöglichen, die Ermittlungen und den Ausgang eines Strafverfahrens abzuwarten, um abweichende Entscheidungen und nicht prozessökonomische Mehrarbeit zu vermeiden (Stein/Jonas/Roth, § 149 Rn 1 u. 4; Dörr, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 149 Rn 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 149 Rn 2; BeckOK ZPO/Wendlandt, § 149 Rn 1; Wöstmann, in: Sänger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 149 Rn 1; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 149 Rn 1). Diese Gesichtspunkte greifen aber unabhängig davon Platz, ob der Verdacht einer Straftat vor oder erst nach Beginn eines Zivilrechtsstreits entsteht.

[16] b) Soweit die Rechtsbeschwerden die auf einen Beschluss des OLG Celle (NJW 1969, 280) gestützte Ansicht vertreten, ein Aussetzungsgrund bestehe nicht, wenn es sich in Straf- und Zivilverfahren um denselben Sachverhalt handele, ist dem nicht zu folgen. Die Auffassung wird damit begründet, die Ermittlung der strafbaren Handlung sei nicht von Einfluss auf das Zivilverfahren, weil das Zivilgericht die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ohne Weiteres verwerten dürfe. Die von den Rechtsbeschwerden damit unterstellte völlige Unabhängigkeit von Zivil- und Strafverfahren besteht jedoch so nicht (vgl. BGHSt 25, 24 = NJW 1973, 206 [207] a.E.; OLG Frankfurt a.M. VersR 1982, 656). Das Gesetz geht davon aus, dass die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des Zivilrechtsstreits von Einfluss sein können. Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften der §§ 149, 411a, 581 ZPO bewusst weitere Verzahnungen zwischen den Verfahren geschaffen. Gerade mit dem 2006 ergänzten § 411a ZPO sollen Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens in Form von Sachverständigengutachten im Zivilverfahren verwertet werden können (BT-Drucks 16/3038, S. 38 r.Sp.). Daher ist bei Sachverhaltsidentität eine Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten (Stadler, in: Musielak/Voit, § 149 Rn 4; Stein/Jonas/Roth, § 149 Rn 4; Dörr, in: Prütting/Gehrlein, § 149 Rn 5). Die behauptete Straftat i.S.d. § 149 Abs. 1 ZPO kann zugleich Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchs sein (OLG Köln VersR 1973, 473; OLG Hamburg MDR 1975, 669 [670]; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 1531; OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.1.2014 – 7 W 33/13, BeckRS 2014, 4284; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 149 Rn 5).

[17] 2. Ohne Erfolg wenden sich die Rechtsbeschwerden auch gegen die Ermessensausübung des Beschwerdegerichts, das gewichtige Gründe i.S.d. § 149 Abs. 2 S. 2 ZPO für gegeben erachtet und damit eine (erstmalige) Aussetzung des Verfahrens für zulässig gehalten hat, selbst wenn das Strafverfahren voraussichtlich länger als ein Jahr dauern wird. Die Rechtsbeschwerden selbst ziehen nicht in Zweifel, dass die Aussetzung der Verhandlung auch bei voraussichtlich mehr als einjähriger Strafverfahrensdauer jedenfalls dann zulässig ist, wenn hierfür absehbar gewichtige Gründe vorliegen. Sie wenden sich allein gegen die Würdigung des Beschwerdegericht, gewichtige Gründe lägen vor. Die entsprechende Beurteilung d...

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