“Goslarer Orientierungsrahmen” (Quotenbildung nach dem neuen Versicherungsvertragsgesetz)

[Ohne Titel]

Das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) hat in Fällen der Gefahrerhöhung, der Obliegenheitsverletzung, der Schadensherbeiführung und der Verletzung der Schadensminderungspflicht anstelle des bisher geltenden "Alles-oder-Nichts-Prinzips" den Versicherer für berechtigt erklärt, im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Wie diese sog. Quotenregelung im Einzelnen aussehen soll, ist im VVG nicht geregelt.

Der 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar hat im Januar 2009 in den Empfehlungen des Arbeitskreises II dazu aufgefordert, "ein gemeinsames Gremium aus Vertretern von Verbraucherschutzverbänden (z.B. Automobilclubs), der Versicherungswirtschaft, der Anwaltschaft und der Richterschaft zu bilden. Dieses soll baldmöglichst eine Tabelle von Musterquoten und Orientierungsrahmen für den Bereich der Kraftfahrt-Versicherung erstellen".

Auf Einladung des Vereins Deutscher Verkehrsgerichtstag – Deutsche Akademie für Verkehrswissenschaft – e.V. hat am 4. und 5. November 2009 ein Symposium stattgefunden, auf dem neun Verkehrsrechtler über die neue Regelung beraten haben.

Teilnehmer waren für den Deutschen Verkehrsgerichtstag e.V.: Kay Nehm, Generalbundesanwalt a.D., Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages e.V.; Dr. Gerda Müller, Vizepräsidentin des BGH a.D., Vizepräsidentin des Deutschen Verkehrsgerichtstages e.V.; Prof. Wolfgang Römer, Richter des IV. Zivilsenats des BGH a.D., ehem. Ombudsmann der Versicherungswirtschaft als Sachverständiger.

Aus dem Kreis der Versicherungswirtschaft, der Vereine und Verbände nahmen teil:

Lars Gatschke, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.; Michael Bücken, RA, Geschäftsführender Ausschuss der Arge Verkehrsrecht im DAV; Paul Kuhn, RA, ADAC; Dr. Klaus Schneider, RA, Geschäftsführender Ausschuss der Arge Verkehrsrecht im DAV; Martin Schmelcher, Leiter Kraftfahrt Betrieb und Schaden Kraftfahrtversicherung, GDV e.V.; Kerstin Stahl, RAin, Leitende Justitiarin, Allianz Versicherungs-AG.

Ziel des Symposiums war es, im Interesse der Verbraucher, der Anspruchsteller und der Versicherer eine unverbindliche, ausgewogene und zugleich praktikable Orientierung für die alltägliche Regulierungspraxis nach neuem Recht zu erarbeiten.

Das Symposium ist mehrheitlich zu folgenden Ergebnissen gelangt:

I. Allgemeines

1. Zum Verschuldensmaßstab

Ausgangspunkt der Prüfung sind das objektive Verschulden und die Frage, wie nahe die Schuldschwere der groben Fahrlässigkeit an den bedingten Vorsatz heranreicht.

In Extremfällen kann die Kürzungsquote des Versicherers deshalb 0 % bzw. 100 % betragen.

Begriff und Inhalt der groben Fahrlässigkeit müssen nicht neu definiert werden. Zu berücksichtigen sind normative Vorprägungen aus anderen Rechtsgebieten ebenso wie die einschlägige Rechtsprechung zur groben Fahrlässigkeit. Der Rückgriff auf die Rechtsprechung schließt allerdings nicht aus, dort deutlicher zu differenzieren, wo es nach bisheriger Rechtslage auf eine exakte Bewertung des Verschuldensgrades nicht ankam.

Die normative Vorprägung berührt folgende Fragen:

  • Ordnungswidrigkeit oder Straftat?
  • Verstoß gegen konkrete Ge- und Verbote oder Verletzung allgemeiner gesetzlicher Sorgfaltspflichten?
  • Schädigung anderer Rechtsgüter (Mensch/Sachwerte)?
  • Art und Maß staatlicher Sanktionen? (Bußgeld/Strafe, Geld-/Haftstrafe, Entziehung der Fahrerlaubnis/Fahrverbot).

Andere Kriterien des objektiven Verschuldens können sein:

  • Körperliche Beeinträchtigungen/Behinderungen
  • Mitverschulden Dritter
  • Voraussehbare (nicht tatsächliche) Schadenshöhe
  • Dauer der Pflichtverletzung

Unbeachtlich für den Verschuldensmaßstab sind dagegen:

  • Wirtschaftliche Lage des Versicherungsnehmers
  • Vertragsgesichtspunkte (Geschäftsbeziehungen zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer oder Schadensverläufe)

Das Symposium gelangte ferner nicht zu der Überzeugung, dass bei der Bemessung des Verschuldens einschlägige Vorstrafen oder Eintragungen im Verkehrszentralregister zu berücksichtigen sind. Auch wenn diese im Wege der Akteneinsicht in die Strafakten bekannt werden, bestehen gegen eine Verwertung innerhalb zivilrechtlicher Auseinandersetzungen systematische und datenschutzrechtliche Vorbehalte.

Das objektive Verschulden kann durch subjektive Umstände verringert oder gesteigert werden. In Betracht kommen:

  • Augenblicksversagen
  • Besondere Gründe der Ablenkung (psychische Situation, Kind im Fahrzeug, berufliche oder private Probleme)
  • Gesteigerte Risikobereitschaft.

2. Doppelverwertungsverbot

Die in der Literatur vertretene Auffassung, dass zur Begründung bzw. zur Widerlegung grober Fahrlässigkeit als Argument Verbrauchte dürfe in die Bemessung der Schuldschwere nicht erneut einfließen, wurde als Scheinargument strafrechtlichen Hintergrundes bewertet.

3. Mehrfache Pflichtverletzungen

Mehrfache Pflichtverletzungen erfordern zur Bemessung der Schuldschwere eine wertende Gesamtbetrachtung

4. Darlegungs- und Beweislast

In Fällen der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 81 VVG) hat der Versicherer, ...

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