Leitsatz

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch – hier eines Abkömmlings – nach § 2325 Abs. 1 BGB setzt nicht voraus, dass die Pflichtteilsberechtigung bereits im Zeitpunkt der Schenkung bestand (Abkehr von den Senatsurteilen vom 21. Juni 1972, IV ZR 69/71, BGHZ 59, 210 und vom 25. Juni 1997, IV ZR 233/96, ZEV 1997, 373).

BGH, Urteil vom 23. Mai 2012 – IV ZR 250/11

Sachverhalt

Die am 18. Juni 1976 geborene Klägerin zu 1 sowie der am 4. November 1978 geborene Kläger zu 2 machen gegen die Beklagte, ihre Großmutter, im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach ihrem am 26. April 2006 verstorbenen Großvater geltend. Die Großeltern, die im Güterstand der Gütertrennung lebten, hatten vier Kinder, unter anderem die 1984 vorverstorbene Mutter der Kläger. Am 8. März 2002 errichteten die Beklagte und der Erblasser ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu "alleinigen und befreiten Vorerben" sowie ihre noch lebenden Kinder zu "Nacherben des Erstversterbenden und Erben des Längstlebenden" einsetzten.

Nach dem Tod des Erblassers verlangten die Kläger Auskunft über den Nachlassbestand sowie den Wert der Nachlassimmobilien. Die Beklagte antwortete hierauf u. a. mit anwaltlichem Schreiben vom 27. Februar 2007. Im Anschluss an weiteren Schriftwechsel fand am 21. August 2007 ein Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Beklagten statt. Diese wurde aufgrund von Unstimmigkeiten über den Umfang der Auskunftsverpflichtung nicht abgegeben.

Durch Schriftsatz vom 19. Januar 2009 beantragten die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine von ihnen beabsichtigte Klage, mit der sie die Beklagte auf Zahlung von je 3.501,33 EUR in Anspruch nehmen wollten sowie im Wege der Stufenklage auf Auskunft durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und Zahlung. Noch vor Zustellung der Klage zahlte die Beklagte je 3.501,33 EUR an die Kläger. Das Landgericht hat der Auskunftsklage stattgegeben, ferner festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die mit der Klageinreichung verursachten Kosten der Rechtsverfolgung hinsichtlich des ursprünglichen Zahlungsantrags zu tragen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel der Beklagten, soweit es sich auf den Feststellungsausspruch bezieht, als unzulässig verworfen und im Übrigen – mit Ausnahme des Antrags auf Wertermittlung – zurückgewiesen. Ferner hat es das landgerichtliche Urteil aufgehoben, soweit die noch nicht gestellten Klaganträge bezüglich eidesstattlicher Versicherung und Zahlung abgewiesen worden waren, und die Sache insoweit an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.

Aus den Gründen

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Über die Revision der Beklagten ist, obwohl die Klägerin zu 1) im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten war durch streitiges Endurteil (unechtes Versäumnisurteil), nicht durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da sich die Revision auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 – II ZR 28/10, NJW 2011, 3372 Rn 6 mwN).

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Rechtsmittel der Beklagten gegen die im landgerichtlichen Urteil ausgesprochene Feststellung ihrer Kostentragungspflicht im Hinblick auf den ursprünglich angekündigten Zahlungsantrag sei unzulässig, weil es entgegen § 520 Abs. 3 ZPO nicht begründet worden sei. Unbegründet sei die Berufung der Beklagten, soweit sie sich gegen die Auskunftsverpflichtung richte. Den Klägern stehe ein Anspruch auf Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB zu. Dieser Anspruch sei nicht verwirkt. Das Nachlassverzeichnis habe unter anderem die lebzeitigen Schenkungen des Erblassers an die Beklagte sowie an dritte Personen in den letzten Jahren vor dem Tod des Erblassers zu erfassen. Die Ergänzungspflicht nach § 2325 BGB und der Auskunftsanspruch umfassten auch die Schenkungen, die der Erblasser vor der Geburt der pflichtteilsberechtigten Kläger vorgenommen habe. Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergebe sich, dass es allein auf die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Erbfalles ankomme. Ziel des § 2325 BGB sei es ungeachtet gewandelter sozialer Verhältnisse, den nächsten Angehörigen des Erblassers ihre nach Art. 14, Art. 6 GG verfassungsrechtlich garantierte Teilhabe am Nachlass zu bewahren. Die zeitliche Befristung der Ausgleichspflicht in § 2325 Abs. 3 BGB lasse sich nicht für die Annahme heranziehen, die Vorschrift schütze primär eine bestimmte Erberwartung. Eine Differenzierung der Ergänzungspflicht nach dem Bestehen eines Pflichtteilsrechts zum Zeitpunkt der Schenkung liefe zumindest bei nachgeborenen Angehörigen der gesetzgeberischen Entscheidung zuwider, die dem Erblasser nachfolgenden Stämme zu gleichen Teilen am Nachlass zu beteiligen. Die Anknüpfung an den Zeitpunkt der Geburt sei zu...

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