Der Pflichtteil ist aus dem Nachlass nach Abzug der Verbindlichkeiten zu zahlen[7], wobei der Wert des Nachlasses auf den Todestag zu berechnen ist (§ 2311 BGB), Veränderungen nach dem Eintritt des Erbfalls bleiben unberücksichtigt (Stichtagsprinzip).[8] Abzugsfähig sind allerdings nicht nur die Verbindlichkeiten, die beim Tod des Erblassers schon feststanden; es genügt vielmehr, wenn der Rechtsgrund für die Nachlassverbindlichkeit zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden war.[9] Das gilt andererseits auch für das vom Erblasser erworbene Lotterielos, auf das der Hauptgewinn fällt.[10] Außer Ansatz bleiben alle Ansprüche gegen den Nachlass, die auf eine letztwillige Verfügung zurückgehen (Pflichtteilsansprüche aus dem Erbfall selbst, Vermächtnisse, Auflagen, Kosten für die Nachlassauseinandersetzung[11]). Über die Zweifelhaftigkeit entscheidet die Sachlage, nicht etwa die Ansicht des Erben.[12]

Deshalb weicht § 2313 BGB bei ungewissen und unsicheren Rechten (Forderungen des Nachlasses gegen Dritte) sowie bei zweifelhaften Verbindlichkeiten (Ansprüche Dritter gegen den Nachlass, § 2313 Abs. 2 S. 1 BGB) vom Stichtagsprinzip teilweise ab.[13] Im einen wie im anderen Fall ist unklar, ob die Ansprüche realisiert werden (können). Sie sind zu behandeln wie aufschiebend bedingte Rechte und Verbindlichkeiten, was bedeutet, dass sie (zunächst) unberücksichtigt bleiben (§ 2313 Abs. 1 S. 1 BGB), der Netto-Nachlasswert wird ohne sie berechnet. Erst wenn "Klarheit" über die Forderung des Nachlasses oder die Nachlassverbindlichkeit besteht, kommt es zu einem nachträglichen Ausgleich zwischen Pflichtteilsberechtigtem und Erben (§ 2313 Abs. 1 S. 3 BGB).[14] Für die Frage, ob eine Verbindlichkeit zweifelhaft ist, entscheidet allerdings der Zeitpunkt, an dem der Anspruch geltend gemacht wird.[15] Ist die Zweifelhaftigkeit beseitigt, wird die Verbindlichkeit der Höhe nach berechnet nach dem Wert am Todestag.[16] Spätere Wertveränderungen bleiben also außer Betracht,[17] wobei die zwischenzeitliche Veränderung der Kaufkraft zu berücksichtigen ist.[18]

[7] Ständ. Rspr., vgl. RGZ 129, 239, 242/243; BGHZ 33, 373, 374; OLG Köln, ZEV 2004, 155 f; siehe auch G. Müller in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2011, § 2311 Rn 24; Brox/Walker, Erbrecht, 24. Aufl. 2010 Rn 549.
[8] BGHZ 7, 134, 135; OLG Stuttgart, NJW-RR 1989, 1283; zu den Risiken MüKo/Lange, BGB, 5. Aufl. 2010, § 2311 Rn 2. Daran ändert nichts, wenn ein Grundstück alsbald nach dem Erbfall veräußert wird und der Kaufpreis von der Schätzung abweicht, vgl. OLG Düsseldorf, ZEV 1994, 331; Klingelhöffer, Rn 342; Kritik am Stichtagsprinzip bei Braga, AcP 1953, 144, 158 ff.
[9] RG, JW 1906, 114; BGHZ 32, 60; eingehend dazu Meincke, Das Recht der Nachlassbewertung, 1973, S. 122; ders. in: Festschrift für H. Wiedemann, 2002, 105 ff; zu Steuerschulden siehe Lorz, ZErb 2003, 302; Kröger, BB 1971, 647; auch J. Mayer, ZEV 1994, 336.
[10] Leipold, Erbrecht, 18. Aufl. 2010, Rn 833 unter Hinweis auf AG Pirmasens, NJW-RR 1998, 1463, dazu Hohloch JuS 1999, 501.
[11] Blum in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2010, § 3 Rn 62 f; Lange, Erbrecht, 2011, Kap. 20, Rn 93; Muscheler, Erbrecht, Band II, 2010, Rn 4.124; anders aber für den Anspruch auf Zugewinn Johannsen in: RGRK, 12. Aufl. 1974, § 2313, Anm. 5.
[12] Joachim, Pflichtteilsrecht, 2004, Rn 191.
[13] Meincke, Nachlassbewertung, S. 227; Erman/W. Schlüter, BGB, 12. Aufl. 2008, 2. Halbband, § 2313 Rn 1.
[14] Bedenken dagegen bei Klingelhöffer, Rn 485.
[15] Staudinger/Haas (2006) , § 2313 Rn 1; Klingelhöffer, Rn 484; Gottwald, Pflichtteilsrecht, 2000, § 2313 Rn 4; aA Pentz, MDR 1999, 144, 145 f.
[16] Staudinger/Haas (2006), § 2313 Rn 17.
[17] BGH, NJW 1993, 2176, f (str.); BGHZ 7, 135.
[18] BGH, NJW 1993, 2177; Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, § 37 VII, 5 b.

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