Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Zu Unrecht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbfolge nach dem von der Erblasserin errichteten Testament vom 12.6.2016 bestimmt. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts ist das Testament unwirksam, weil es gegen die von der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehegatten am 21.3.1976 errichteten gemeinschaftlichen Testament ausgehende Bindungswirkung dort getroffener wechselbezüglicher Verfügungen verstößt (§§ 2270, 2271 Abs. 1 S. 2 BGB) und das Recht des an die Stelle des weggefallenen (Schluss)Erben tretenden Ersatzerben (= Beteiligter zu 3) beeinträchtigen würde (vgl. § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB in entsprechender Anwendung). Demgemäß ist der Antrag der Beteiligte zu 1 auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen.

1. Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass die in dem gemeinschaftlichen Testament angeordnete Schlusserbeneinsetzung des Stiefsohns der Erblasserin infolge dessen Vorversterbens hinfällig ist, und sich daher die Frage der Wechselbezüglichkeit einer (etwaigen) Ersatzerbfolge erst nach deren Feststellung stellt. Ob die Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB angeordnet haben, ist nämlich nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung gesondert geprüft und bejaht werden (vgl. dazu OLG München FamRZ 2010, 1846 mwN). Dies setzt aber zunächst voraus, dass die einzelnen Verfügungen ermittelt und festgestellt werden. Erst wenn dies der Fall ist, kann sich die Frage anschließen, ob einer bestimmten Verfügung Wechselbezüglichkeit beizumessen ist. Dabei stellt die Ersatzerbeneinsetzung im Verhältnis zur Einsetzung des zunächst bedachten Erben eine selbständige, gesonderte Verfügung dar. Die Wechselbezüglichkeit der Ersatzberufung, und nicht diejenige der Einsetzung des weggefallenen Schlusserben, steht insofern inmitten. Die von dem Nachlassgericht herangezogenen Grundsätze des BGH in seiner Entscheidung vom 16.01.2002 (sog. Kumulationsverbot der Auslegungsregeln der § 2069 BGB und § 2270 Abs. 2 BGB) kommen somit erst zum Tragen, sofern sich im Wege der Auslegung kein individueller Erblasserwillen in Bezug auf eine Ersatzerbfolge im Falle des Wegfalls des eingesetzten Schlusserben feststellen lässt.

2. Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung findet sich in dem gemeinschaftlichen Testament nicht. Sie ergibt sich jedoch entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts im Wege individueller (ergänzender) Auslegung.

a) Die ergänzende Auslegung setzt voraus, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch den fest- zustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei muss aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Durch sie darf kein Wille in das Testament hingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist (vgl. NK-Erbrecht/Fleindl, 4. Aufl. 2014, § 2084 Rn 45; Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2. Aufl. 2014, § 2084 Rn 17; Palandt/Weidlich, BGB, 76. Aufl. 2017, § 2084 Rn 9 mwN). Durch ergänzende Testamentsauslegung kann also die durch den Wegfall des Bedachten entstandene Lücke nur dann geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet (BGHZ 22, 357, 360; LM § 2078 Nr. 3; FamRZ 1983, 380, 382; MüKo-BGB/Leipold, 7. Aufl. 2017, § 2084 Rn 95 mwN). Nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung muss anzunehmen sein, dass er die Ersatzerbeneinsetzung gewollt hätte, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (OLG München FGPrax 2013, 177, 178). Steht eine ergänzende Auslegung von wechselbezüglichen Verfügungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments, ist nicht nur nach dem hypothetischen Willen des überlebenden Ehegatten zu fragen, sondern von der gemeinsamen bei der Testamentserrichtung bestehenden Willensrichtung der Ehegatten auszugehen (MüKo-BGB/Leipold, aaO Rn 105).

aa) Anhaltspunkte dafür, dass die Ehegatten bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments an die Möglichkeit des vorzeitigen Wegfalls des eingesetzten Schlusserben gedacht haben, sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Schlusserbe war im Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments 34 Jahre alt. Es ist daher naheliegend, dass die Ehegatten, die zu diesem Zeitpunkt 61 bzw. 51 Jahre alt waren, nicht damit gerechnet haben, dass der Schlusserbe vorverstirbt, und insofern die Regelung einer Ersatzerbfolge für nicht erforderlich erachtet haben. Insofern liegt eine unbewusste Regelungslücke vor, die im Wege der ergänzenden Auslegung zu schließen ist.

bb) Es ist daher zu prüfen, was die Erblasser gewollt hätten, wenn sie das Vorversterben des Schlusserben, des Vaters des Beschwerdef...

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