(1) Grundsatz: Stichtagskurs

Die im Regulierten Markt bzw. im Freiverkehr gehandelten Aktien werden zwingend mit dem niedrigsten für sie am Stichtag notierten Kurs bewertet. Bei variablen Kursnotierungen[13] kommt es auf die niedrigste am jeweiligen Tag festzustellende variable Notierung nicht nur an einer, sondern an allen in Betracht kommenden inländischen Börsen an.

Die Finanzverwaltung hat zwar diesbezüglich in der Vergangenheit wiederholt die Auffassung vertreten, variable Kursnotierungen seien im Rahmen der Bewertung nach § 11 Abs. 1 BewG nicht zu berücksichtigen;[14] das Gesetz ziele lediglich auf den Vergleich der Kassa-Kurse an verschiedenen Börsenplätzen ab. Diese Auffassung ist jedoch weder mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar,[15] noch wird sie der Zielsetzung der Vorschrift gerecht. Denn die sich im Laufe eines Tages ergebenden Kursschwankungen können in dynamischen Märkten im Einzelfall erhebliche Dimensionen haben, sodass ein Abstellen allein auf die Kassa-Kurse dem Petitum des Gesetzes, den niedrigsten Stichtagskurs anzusetzen, nicht gerecht würde. Eine Beschränkung des Kursvergleichs allein auf unterschiedliche Börsenplätze ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen und erscheint daher willkürlich.

Wird eine an einer deutschen Börse zum Regulierten Markt zugelassene Aktie gleichzeitig an einer anderen deutschen Börse im Freiverkehr gehandelt, kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes dem (niedrigsten) im Regulierten Markt zustande gekommenen Kurs der Vorrang gegenüber (etwa niedrigeren) Freiverkehrskursen zu.[16] Denn nach § 11 Abs. 1 S. 1 BewG ist für die zum Handel im Regulierten Markt zugelassenen Wertpapiere der niedrigste in eben diesem Regulierten Markt notierte Kurs anzusetzen.

Bei nur im Ausland gehandelten Aktien wird vorrangig auf Telefonkurse im inländischen Bankverkehr abgestellt, im Übrigen auf (den niedrigsten) Börsenkurs im Emissionsland.[17]

[13] Also sich im Laufe des Tages entsprechend der Entwicklung von Angebot und Nachfragen fortlaufend ändernden Kursen.
[14] Vgl. BMF-Schreiben v. 15.2.1965, DVR 1965, 68; FinMin. Bayern, Schreiben v. 7.8.1991, NWB DokSt F. 9 §§ 116 BewG 2/92; zustimmend auch S. Viskorf, in Viskorf u. a., § 11 BewG Rn 11.
[15] Ebenso Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 12 Rn 272; ähnlich Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn 7.
[16] Ebenso Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn 9.
[17] R B 11.1 Abs. 3 ErbStR 2011.

(2) Hilfsweise letzter Kurs binnen 30 Tagen vor dem Stichtag

Kann am Bewertungsstichtag keine Kursnotierung im Regulierten Markt festgestellt werden, orientiert sich die Bewertung nach § 11 Abs. 1 S. 2 BewG an der letzten Kursnotierung der Aktie innerhalb von 30 Kalendertagen vor dem Stichtag. Maßgeblich sind auch insoweit primär die im Regulierten Markt notierten, hilfsweise – auch wenn dies aus dem Gesetz so nicht unmittelbar abgeleitet werden kann[18] – die des Freiverkehrs.[19]

Die Vereinbarkeit der Vorgaben des § 11 Abs. 1 S. 2 BewG mit dem Stichtagsprinzip des § 11 ErbStG ist mehr als fraglich. Der Rückgriff auf bis zu 30 Kalendertage vor dem eigentlichen Stichtag festgestellte Kurse ist eigentlich nur dann vertretbar, wenn sich die Marktbedingungen zwischen dem Tag der Kursnotierung und dem Bewertungsstichtag iSv § 11 ErbStG nicht nennenswert verändert haben und der (mehr oder weniger veraltete) Kurs nicht als "überholt" angesehen werden muss.[20] Diese Voraussetzung dürfte in der Praxis nur selten erfüllt sein, zumal ja auch die Aussetzung der Notierung meist nicht ohne Ursache erfolgt und sie daher bereits auf eine tiefgreifende Veränderung der wertbeeinflussenden Faktoren hindeutet. Ungeachtet dieser dogmatischen Kritik, ist die gesetzliche Regelung allerdings eindeutig.

[18] Krit. auch Meincke, ErbStG, § 12 Rn 32.
[19] Vgl. Eisele, in: Rössler/Troll, BewG, § 11 Rn 9.
[20] Vgl. hierzu Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 12 Rn 2673.

(3) Ausnahme: Abweichung vom Stichtagskurs

§ 11 Abs. 1 BewG bildet eine typisierende Konkretisierung des in § 9 Abs. 2 BewG definierten gemeinen Werts. Ein vom jeweiligen Kurswert abweichender Wertansatz kann daher nur in äußerst engen Grenzen infrage kommen.[21] Allein das Vorliegen spekulativer Einflüsse, die evtl. zu einem überhöhten Stichtagskurs geführt haben mögen, rechtfertigt jedenfalls keine Abweichung.[22] Denn die Volatilität der Kurse gehört zu den Charakteristika von Aktien. Außerdem hätte jeder entsprechend aufmerksame und entschlusskräftige Aktionär (jedenfalls theoretisch) die Möglichkeit, den Stichtagskurs durch Verkauf zu realisieren, und zwar völlig unabhängig davon, ob das betreffende Unternehmen – gemessen an seinen Fundamentaldaten – diesen Wert tatsächlich rechtfertigt.[23] Aus demselben Grund sind sowohl strake Kursrückgänge nach dem Stichtag[24] (selbst wenn diese durch die Nachricht vom Tod des Erblassers ausgelöst werden[25]) als auch die Frage, aufgrund welchen Handelsvolumens die Kursbildung erfolgte, irrelevant.[26]

Eine Abweichung vom Kurswert ist daher nur dann denkbar, wenn nach Börsenrecht die Streichung des jeweiligen Kurses zu erfolgen gehabt hätte,[27] der Kurs also gerade nicht unter d...

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