Da das Gesetz in § 17 Abs. 1 Satz 2 ErbStG nur von "Versorgungsbezügen" spricht, ist zunächst zu fragen, ob eine LV-Summe überhaupt einen solchen darstellt.

1. Wortlaut unklar

Das ErbStG selbst enthält hierzu keine Definition. In der Kommentarliteratur wird der Begriff der Versorgungsbezüge eher unscharf umschrieben, sie seien "nicht auf Grund eines vom Erblasser geschlossen Vertrages (…) erworben (…), dennoch aber in ihrer grundsätzlichen Struktur steuerpflichtigen Versorgungsrenten vergleichbar".[19] Ausgehend von der Legaldefinition des § 19 Abs. 2 Satz 2 EStG würde man die Frage dagegen wohl verneinen: Denn Versorgungsbezüge sind insofern nur "Bezüge und sonstige Vorteile, die auf einem früheren Dienstverhältnis beruhen (…)"[20], was aber bei einer Versicherungsleistung eben nicht (unmittelbar) der Fall ist.

Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass der BFH in der von Andres in Bezug genommenen Entscheidung jedenfalls die Einmalzahlung aus einer betrieblichen Direktversicherung grundsätzlich als Versorgungsbezug charakterisiert hat – und insofern ein mittelbares "Beruhen" auf einem Dienstverhältnis ausreichen lässt.

[19] So etwa Meincke, aaO (Fn 3).
[20] Kirchhof, EStG, 9. Aufl. 2010, § 19 Rn 81.

2. Gesetzesbegründung

Aufschlussreich ist ein Blick auf die weitere Begründung des BFH, in der er implizit auch auf die Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 1997 Bezug nimmt, mit dem § 17 Abs. 1 Satz 2 ErbStG eingeführt wurde.

Insofern führt er aus, dass "(...) die Regelung in § 17 Abs. 1 ErbStG ihrem Sinn und Zweck nach – jedenfalls in Höhe des Freibetrags (…) – zu einer Gleichbehandlung der der Hinterbliebenenversorgung dienenden Vermögenspositionen führen (soll), die der überlebende Ehegatte aus Anlass des Todes seines Ehepartners erwirbt. Eine solche Regelung war erforderlich, weil die auf Gesetz beruhenden Versorgungsleistungen an überlebende Ehegatten keinen Erwerb von Todes wegen darstellen, insbesondere nicht unter die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG fallen. Deshalb sollen nach § 17 Abs. 1 Satz 2 ErbStG nur die Ehegatten in den Genuss des Versorgungsfreibetrags gelangen, denen aus Anlass des Todes des Erblassers keine auf Gesetz beruhenden und damit nicht steuerpflichtige Versorgungsleistungen zustehen."[21] Erst hiernach führt der BFH aus, dass dieser "Gleichstellungsgedanke" es erfordere, "alle" nicht erbschaftsteuerbaren Versorgungsleistungen bei der Kürzung zu berücksichtigen.

Zunächst fällt auf, dass der BFH lediglich die auf Gesetz beruhenden und deswegen nicht der Erbschaftsteuer unterliegenden Versorgungsbezüge anspricht. So könnte man meinen, dass vertraglich erworbene Versorgungsansprüche hiernach schon gar nicht unter § 17 Abs. 1 Satz 2 ErbStG fallen können. Dies indes wäre eine in Anbetracht der Gesetzesbegründung zu enge Auslegung des Gesetzestextes:

"Mit dieser Regelung (§ 17 Abs. 1 Satz 2 ErbStG) soll die unterschiedliche erbschaftsteuerliche Behandlung der auf Gesetz oder Arbeits- oder Dienstverträgen des Erblassers beruhenden Versorgungsbezüge einerseits und der übrigen auf einem privaten Vertrag begründeten Versorgungsbezüge (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) andererseits im Grundsatz beseitigt werden."[22]

Der Gesetzgeber hat insofern zu erkennen gegeben, dass er auch rechtsgeschäftlich begründete ("auf Arbeits- oder Dienstverträgen des Erblassers beruhende") Versorgungsbezüge, die zuvor aufgrund der Rechtsprechung des BFH der Erbschaftsteuer entzogen waren,[23] berücksichtigen will.

Damit erschöpft sich die Erkenntnis über die Zielrichtung des Gesetzgebers indes nicht. Ersichtlich wird nämlich auch, dass er eine Ungleichbehandlung wirtschaftlich von ihm als vergleichbar erachteter Sachverhalte beheben wollte: Während nämlich demjenigen Ehegatten, für den der Erblasser durch entsprechenden Vertrag (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) vorgesorgt hatte, von vornherein ein erbschaftsteuerbarer Erwerb zufloss, blieben Ehegatten, denen die Versorgungsleistung aufgrund gesetzlicher oder berufsständischer Versorgungsregelungen bzw. betrieblicher Grundlagen zufloss, von der Erbschaftsteuer befreit.

Liegt aber der tiefere Beweggrund der Kürzungsregelung – wie auch der BFH im fraglichen Urteil betont hat – in der Gleichstellung, dürfen "Versorgungsleistungen", die sich der zu versorgende Ehegatte durch Abschluss eines eigenen Vertrags sichert und für deren Erwerb er aus eigenem Vermögen aufkommt (entgeltlicher Erwerb!), gerade nicht kürzungsrelevant sein.[24] Insofern besteht nämlich kein Gleichstellungsbedarf, weil die Besserstellung auf die Initiative des zu Versorgenden selbst und nicht auf die Rechtsposition des Erblassers (rentenversicherungsrechtliche, berufsständische oder betriebliche Absicherung) zurückzuführen ist.

Insofern ist die Urteilsbegründung des BFH – auf der Linie der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 17 Abs. 1 Satz 2 ErbStG – aber dahin zu verstehen, dass lediglich nicht steuerbare Versorgungsleistungen, die auf einem Rechtsverhältnis des Erblassers an den Ehegatten gezahlt werden, Kürzungsrelevanz entfalten können.[25]

[21] A...

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