Die Eheleute V und M haben ein Berliner Testament mit gegenseitiger Alleinerbeneinsetzung und Schlusserbeneinsetzung der beiden Kinder A und B getroffen. B hat zu Lebzeiten von den Eltern je zur Hälfte einen Bauplatz im Wege der Ausstattung im Wert von (indexierten) 100.000 EUR erhalten. Zunächst stirbt V, ohne dass die Kinder ihren Pflichtteil geltend machen. Dann stirbt M mit einem Nachlass von 100.000 EUR. Hat B und wenn ja wie hoch einen Pflichtteil auf den Tod der M?

Lösung: Bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft auf den Tod der M muss B nach hM[35] die Ausstattung gem. § 2052 BGB in voller Höhe gegenüber seinem Bruder ausgleichen, da Erblasser im Sinn des § 2050 BGB auch der erstverstorbene Ehegatte sein kann, wenn sich die Ehegatten durch ein Berliner Testament gegenseitig zu Alleinerben und die Kinder zu Schlusserben eingesetzt haben. Folglich hat B eine Teilungsquote von 0.

Aufgrund der pflichtteilsrechtlichen Fernwirkung der Ausgleichungspflicht auf das Pflichtteilsrecht durch die Norm des § 2316 BGB hätte diese Auffassung auch Auswirkungen auf den Pflichtteilsanspruch des B nach M. Die zur Ausgleichung vertretene Meinung ist allerdings nicht über § 2316 BGB ins Pflichtteilsrecht übertragbar.[36] Die ausgleichungspflichtige Zuwendung muss im Pflichtteilsrecht anders als bei der Ausgleichung von dem Erblasser stammen, der den Erbfall ausgelöst hat, und kann nicht vom anderen Ehegatten gemacht worden sein. Der klare Wortlaut des § 2316 Abs. 1 Satz 1 BGB fordert eine Zuwendung des Erblassers. Im Pflichtteilsrecht gilt ein strenges "Trennungsdenken" hinsichtlich der beiden Erbfälle, die beim gemeinschaftlichen Testament eintreten. Dies führt zu einem Bruch des Gleichlaufs der §§ 2050 ff BGB und §§ 2316, 2050 ff BGB.[37] In diesem Sinne eines engen Erblasserbegriffs im Pflichtteilsrecht und eines Trennungsdenkens beim Berliner Testament hat sich jüngst auch das OLG Koblenz[38] geäußert, dabei aber fälschlich eine Relativierung "in der Regel" hinzugesetzt.[39]

Bei der Berechnung seines Pflichtteils muss B deshalb nur den halben Bauplatz von M zur Ausgleichung bringen, d. h. 50.000 EUR. Folglich hat B noch einen Ausgleichungspflichtteil von 12.500 EUR – ein erstaunliches Ergebnis.

[35] RG WarnR 1938, 51, 52; KG NJW 1974, 2131, 2132; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl. 2012, § 2052 Rn 2; aA Mohr, ZEV 1999, 257, 258.
[36] Schindler, ZEV 2006, 389, 393; BaRo/J. Mayer, § 2316 Rn 5.
[37] Ausführlich Schindler, Pflichtteilsberechtigter Erbe und pflichtteilsberechtigter Beschenkter, 2004, Rn 422 ff.
[38] ZEV 2010, 473.
[39] Krit. auch Keim, ZEV 2010, 475.

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