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Beim Behindertentestament ist Gespräch der Gegenwart der Substanzzugriff des Testamentsvollstreckers, wenn die Erträge für den nicht befreiten Vorerben vor allem aufgrund der Niedrigzinsphase nicht ausreichen, um die im Vergleich zur Sozialhilfe besserstellende Versorgung des Behinderten zu erreichen, die auch sozialhilfefest sein muss.[1] Die diesbezüglichen aktuellen Überlegungen in der praxisrelevanten Literatur beruhen sämtlich auf einem Hinweis des BGH in seiner zweiten wegweisenden Entscheidung zum Behindertentestament.[2] Einige dieser Vorschläge sollen kritisch beleuchtet werden.[3] Für das Substanzzugriffsrecht verweist der BGH als Argument und Parallele ausdrücklich auf die §§ 2126, 2124 Absatz 2 Satz 1 BGB. Es liegt daher nahe, dies als weiteren und praktisch relevanten Fall zu betrachten und mit dem Substanzzugriff zur Mittelverwendung für den Behinderten zu vergleichen: den Substanzzugriff des Testamentsvollstreckers, weil z. B. eine Immobilie aus Substanzmitteln zur weiteren Vermietung saniert werden muss. Der Autor erlaubt sich dabei, zu beiden Fällen und zum Hinweis des BGH eine rechtliche Alternative, die in Ansätzen jüngst angeklungen ist,[4] genauer zu entwickeln. Abschließend wird mit dem Beispiel der Sanierungsausgaben gezeigt, wie man zwingende Rechtsprinzipien wie den Surrogationsgrundsatz nach § 2111 BGB gegenüber dem Sozialrecht rechtlich und praktisch verteidigen kann.

[1] Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Spall, ZEV 2017, 26 ff; Krauß, Vermögensnachfolge in der Praxis, 5. Aufl. 2018, Kap. 14 Rn 6571 f, Seite 2053; Braun, Nachlassplanung bei Problemkindern, 2. Aufl. 2018, § 2 A. Rn 116; Ruby/Schinder/Wirich, Das Behindertentestament (2. Aufl. 2014), § 3 VII.; Langenfeld/Fröhler, Testamentsgestaltung, Kap. 6 Rn 117, Seite 584; J. Mayer in: Mayer/Bonefeld, Testamentsvollstreckung, 4. Aufl. § 22; Doering-Striening, Sozialhilferegress bei Erbfall und Schenkung, § 6 B.V. Rn 98 ff, Seite 389 ff; Schmidl, ZErb 2017, 303 ff.
[2] BGH Urteil v. 20.10.1993, IV ZR 231/92, u. a. in BGHZ 123, 368; NJW 1994, 248; FamRZ 1994, 162; ZEV 1994, 35.
[3] Der Autor muss sich hier beschränken und hat zudem auch aus Zeitgründen darauf verzichtet, die Besprechungen zu BGHZ 123, 368 "aus der Zeit" einzubeziehen; was man ihm nachsehen möge insbes. in Hinblick auf etwaige Argumente und Gedanken, die womöglich schon einmal entwickelt wurden.
[4] Schmidl, ZErb 2017, 303, 305 (dort Fn 86), 306 f.

A. Der Testamentsvollstrecker als Diener zweier Herren – oder doch nicht: ein genauerer Blick auf BGHZ 123, 368 und der Zusammenhang des Urteils mit dem Sozialrecht

I. Die Rechtsprechung verlangt vom Testamentsvollstrecker normalerweise, bei der ordnungsgemäßen Verwaltung gemäß § 2216 Absatz 1 BGB den Ab- und Ausgleich der widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen zwischen Vor- und Nacherben herzustellen.[5] In seiner zweiten Grundsatzsentscheidung zum Behindertentestament hat der BGH dies allerdings zugunsten des behinderten Vorerben anders gewichtet und hier dessen Substanzzugriff in den Vordergrund gerückt: sofern wie im entschiedenen Sachverhalt der Nachlass zu wenig oder keine Erträge abwirft, kann der Zugriff auf die Substanz möglich sein.

Schauen wir auf den für uns wichtigen Teil der Entscheidung.[6] Nach der Auseinandersetzung hatte die Behinderte als Vorerbin einen Vermögenssockel von rund 114.000 DM erhalten (Rn 3). Der Testamentsvollstrecker und Nacherbe, ihr Bruder, aber hatte vorbehaltlich der fehlenden Sozialschädlichkeit ein stattliches Programm zu finanzieren (Rn 2): ein monatliches Taschengeld, mind. 4 Wochen Urlaub p. a. in einem Behinderten- oder sonstigen Erholungsheim, Kosten des alltäglichen Bedarfs (Kleidung etc.) und Unterbringung in einem Einzelzimmer. Streitpunkt war die Sittenwidrigkeit der Nacherbfolge durch den Bruder, weil die Behinderte gegenüber dem Bruder als Nacherben benachteiligt werde (bloße Erhaltung des Erbteils durch die Behinderte), der Erbvertrag entziehe den Erbteil dadurch auch dem klagenden Sozialhilfeträger (Rn 4).

Mit anderen Worten, aber ohne dass dies klar ausgesprochen wird: der Erbteil der Behinderten, bestehend aus Wertpapieren und Bankguthaben (Rn 14), wirft keine Erträge ab, die dem Testamentsvollstrecker die Erfüllung seiner o. g. Pflichten gestattet hätten. Dafür blieb nur der Substanzzugriff. Dass dies so war, geht aus den Gründen hervor, denn den Vorwurf der Sittenwidrigkeit der Nacherbfolge des Bruders lehnt der BGH u. a. wie folgt ab (Rn 14): "Die Nacherbfolge benachteiligt die Behinderte auch nicht dadurch unzumutbar, dass unter Umständen die Zustimmung des Bruders zur Veräußerung von Nachlassgegenständen erforderlich sein könnte. Im vorliegenden Fall hat sie (die Behinderte, Anm. d. Verf.) aufgrund der Erbauseinandersetzung kein Immobiliarvermögen erhalten, so dass die Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB nicht eingreift. Sie muss den aus Wertpapieren und Bankguthaben bestehenden Nachlass aber in der Substanz erhalten und dazu auf Verlangen des Nacherben gemäß § 2116 ff BGB sichern. Wenn die Leistungen, die der Testamentsvollstrecker nach dem Erbvertrag zugunsten der Behinderten zu erbringen hat, nicht aus den Nutzu...

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