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Der Beitrag befasst sich mit der Wirksamkeit erbrechtlicher Gestaltungen, durch die der Nachlass gegen einen Zugriff des Sozialhilfeträgers abgeschirmt werden soll. Dabei werden insbesondere die von Wendt (ZErb 2012, 262 ff, 313 ff) gegebenen Diskussionsanstöße aufgegriffen. Im Ergebnis spricht der Autor sich für eine differenzierende Sittenwidrigkeitskontrolle sowie für eine Konkretisierung der Grenzen zulässiger Gestaltungen durch den Gesetzgeber aus.

I. Eine heftige Kontroverse

In der erbrechtlichen Gestaltungspraxis sind verschiedene Wege ersonnen worden, auf denen dem Sozialhilfeträger der Zugriff auf letztwillige Zuwendungen an behinderte oder bedürftige Kinder versperrt werden soll. Die Diskussion dreht sich insbesondere um Behinderten- und Bedürftigentestamente, Erb- und Pflichtteilsverzichte sowie Erbausschlagungen. Im Mittelpunkt steht jeweils die Frage, inwieweit solche Gestaltungen einer Sittenwidrigkeitskontrolle gem. § 138 Abs. 1 BGB standhalten. Dabei sind teils für eine wissenschaftliche Kontroverse ungewöhnlich pointierte Stellungnahmen zu verzeichnen. So formuliert Dutta in einem größeren Archivbeitrag, es wäre "purer Hohn", wenn durch einen Pflichtteilsverzicht "die öffentliche Hand ein zweites Mal zur Kasse" gebeten werden könnte.[1] Von der entgegengesetzten Warte bezeichnet Roland Wendt, der die Thematik in dieser Zeitschrift eingehend und instruktiv erörtert hat,[2] die Bedenken gegen manche erbrechtlichen Gestaltungen als "Sittenwidrigkeitsnörgeleien"[3], die künftig kein Gehör mehr finden sollten.

Der Grund dafür, dass die Wogen hier höher schlagen als bei anderen kontrovers diskutierten Themen, dürfte ein zweifacher sein: Zum einen wird manch ein Gestalter von Rechtsgeschäften schon allein die Prüfung, ob das von ihm verwendete Modell womöglich sittenwidrig sein könnte, als anmaßend oder als "Zumutung"[4] ansehen. Zum anderen geht es inhaltlich um ein hoch sensibles Thema, insbesondere soweit eine Gestaltung Menschen mit Behinderungen zugute kommen soll; einem von derartiger Fürsorge bestimmten Handeln mag man nur ungern rechtliche Grenzen aufzeigen.

Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es, sich von solchen – verständlichen – Befindlichkeiten zu lösen und die in der Praxis verbreiteten Gestaltungen sowie deren Beurteilung durch die Rechtsprechung einer nüchternen, kritisch-konstruktiven Analyse zu unterziehen. Angesichts der aufgeladenen Diskussion erscheint es hilfreich, sich vorab zu vergegenwärtigen, dass es nicht etwa um die Frage geht, ob den Beteiligten und ihren rechtlichen Beratern womöglich eine unsittliche Motivation zu unterstellen ist; dies kann und muss – sofern es ihnen um das Kindeswohl geht – klar verneint werden.

Vielmehr gilt es, den Zweck der Gestaltungen, um deren Sittenwidrigkeitskontrolle es geht, und deren Motiv klar voneinander zu unterscheiden. Beim Zweck geht es um die Wirkungen, die ein Geschäft auf der rechtlichen Ebene herbeiführen soll; beim Motiv stehen hingegen die dafür maßgeblichen Beweggründe, insbesondere die damit letztlich angestrebten wirtschaftlichen Auswirkungen in Rede. Konkret bedeutet dies: Der Zweck der hier interessierenden Gestaltungen iSd gewollten rechtlichen Wirkung liegt darin, den Zugriff des Sozialhilfeträgers etwa auf Grundlage der §§ 91 S. 2, 93, 102 SGB XII zu verhindern (s. sogleich sub II). Das Motiv dafür liegt nun nicht etwa darin, die Allgemeinheit zu schädigen, sondern dem Kind einen zusätzlichen wirtschaftlichen Vorteil zukommen zu lassen. Dieses Motiv ist bei der für die Sittenwidrigkeitskontrolle erforderlichen Gesamtwürdigung (s. sub IV) zu berücksichtigen; es steht aber einer Prüfung des Vertragszwecks anhand von § 138 Abs. 1 BGB nicht von vornherein entgegen. So wird etwa auch ein wucherähnliches Geschäft – dessen Zweck darauf gerichtet ist, einen objektiv überhöhten Anspruch zu erlangen – nicht allein dadurch seines Charakters als sittenwidrig beraubt, dass der davon Profitierende den erstrebten Mehrerlös für die anerkennenswerte Versorgung seines bedürftigen Kindes einsetzen möchte.

Der Autor dieses Beitrags hat es an anderer Stelle unternommen näher darzulegen, aus welchen Gründen die genannten Gestaltungen nach seiner Ansicht teilweise mit § 138 Abs. 1 BGB in Konflikt geraten.[5] Dies soll hier nicht umfassend nachgezeichnet werden. Vielmehr gilt es, zu einigen auf jene Ansicht bezogenen Einwänden in den aktuellen Beiträgen von Wendt Stellung zu beziehen. Dabei interessieren nicht zuletzt die mit dem dogmatischen Verständnis von § 138 Abs. 1 BGB zusammenhängenden Fragen.

[1] Dutta, AcP 209 (2009), 760, 787.
[2] ZErb 2012, 262 ff; 313 ff.
[3] Wendt, ZErb 2012, 313, 321; ders., in Grziwotz (Hrsg.), Erbrecht und Vermögenssicherung, 2011, S. 7, 40.
[4] Vgl. Dreher/Görner, NJW 2011, 1761, 1762, von der Warte der Eltern.
[5] Armbrüster, ZEV 2010, 88 und 555; ders., in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 138 Rn 40 ff, 45; eingehend ders., in: FS Säcker, 2011, 13 ff.

II. Zweck und Motiv der erbrechtlichen Gestaltungen

Es ist ein großes Verdienst von Wendt, dass er im Unterschied zu zahlreichen Stellungnahmen aus der e...

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