Leitsatz

1. Setzen sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen, dass Schlusserben die gemeinsamen Kinder sein sollen, so ist in der Regel davon auszugehen, dass die Alleinerbeneinsetzung des Längerlebenden nur im Hinblick auf die Beteiligung der gemeinsamen Kinder im Schlusserbfall erfolgt. Nach dem Tod des Erstversterbenden entfaltet das gemeinsame Testament in diesen Fällen Bindungswirkung.

2. Fällt eines der zu Schlusserben benannten Kinder nach dem Tod des Erstversterbenden, aber vor Versterben des Überlebenden weg, so entfällt die Bindungswirkung zugunsten eines möglichen Ersatzerben, wenn sich aus dem gemeinschaftlichen Testament durch Auslegung im Einzelfall keine Anhaltspunkte für dessen Ersatzerbenstellung ergeben und diese sich ausschließlich aus der Vermutungsregelung des § 2069 BGB ergibt.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 19. Dezember 2014 – 6 W 155/14

Sachverhalt

Die Antragstellerin ist die gemeinsame Tochter des Erblassers und seiner im März 2008 vorverstorbenen Ehefrau.

Mit gemeinschaftlichen Testament vom 16. Dezember 2002, auf das Bezug genommen wird (Beiakte [...]), haben sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder, die Antragstellerin und deren am 2. August 2008 verstorbenen Bruder, als Schlusserben eingesetzt.

Unter dem 29. April 2013 hat der Erblasser ein eigenhändiges Testament erstellt und in amtliche Verwahrung gegeben. Mit dieser letztwilligen Verfügung hat er die Antragstellerin und deren Sohn sowie den Sohn seines verstorbenen Sohnes enterbt. Dieser hat am 28. August 2008 die Erbschaft nach seinem Vater ausgeschlagen (begl. Kopie Bl 10 dA). Wegen der weiteren Verfügungen des Erblassers, in denen auch sein Bruder, der Beteiligte zu 2., erwähnt wird, wird auf das Testament vom 29. April 2013 (Beiakte [...]) verwiesen.

Die Antragstellerin hat mit notarieller Erbscheinsverhandlung vom 29. November 2013 unter Hinweis darauf, dass ihr unter dem 26. November 2008 ein Erbschein als Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Bruder erteilt worden ist, die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin nach ihrem Vater ausweist. Mit Schreiben des beurkundenden Notars vom 1. März 2014 hat sie hilfsweise beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie und ihren verstorbenen Bruder als Miterben zu gleichen Teilen ausweist.

Das Nachlassgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 24. April 2014, dem beurkundenden Notar zugegangen am 28. April 2014, zurückgewiesen. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 27. Mai 2014, per Fax eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Beschwerde erhoben, mit der sie ihren Hauptantrag weiterverfolgt und hilfsweise beantragt, ihr einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der sie und den Sohn des verstorbenen Sohnes des Erblassers je zu 1/2 als Erben ausweist.

Mit Beschluss vom 1. September 2014, zugestellt am 4. September 2014 hat das Nachlassgericht der Beschwerde betreffend den Hauptantrag nicht abgeholfen und den geänderten Hilfsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 24. September 2014, beim Nachlassgericht eingegangen am selben Tag, der das Nachlassgericht mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 nicht abgeholfen hat.

Aus den Gründen

Die Beschwerden der Antragstellerin sind gemäß den §§ 58 ff FamFG zulässig, sie sind jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache bleiben die Beschwerden jedoch ohne Erfolg, denn die Zurückweisung der Erbscheinsanträge durch das Nachlassgericht erfolgte im Ergebnis zu Recht:

Beschwerde vom 27. Mai 2014 gegen die Zurückweisung des Hauptantrages:

Die Zurückweisung des Hauptantrages – Erteilung eines Erbscheins, der die Antragstellerin als Alleinerbin ausweist – erfolgte zu Recht, weil die Antragstellerin nicht Alleinerbin geworden ist.

Allerdings folgt der Senat der angefochtenen Entscheidung nicht, soweit das Nachlassgericht die Enterbung der Antragstellerin durch das eigenhändige Testament des Erblassers vom 29. April 2013 für wirksam erachtet.

Der Erblasser war aufgrund des gemeinschaftlich mit seiner vorverstorbenen Ehefrau errichteten Testaments vom 16. Dezember 2002 iVm § 2271 Abs. 2 BGB an einer abweichenden Testierung und damit an einer Enterbung der Antragstellerin gehindert, weil die Einsetzung der Antragstellerin als Schlusserbin eine wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB darstellt, die den überlebenden Ehegatten bindet.

Der Erblasser und seine im März 2008 vorverstorbene Ehefrau hatten unter dem 16. Dezember 2002 ein Testament errichtet, indem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre beiden gemeinsamen Kinder zu Schlusserben des Letztversterbenden bestimmt haben (§ 2269 Abs. 1 BGB).

Richtig ist zwar, dass allein die Tatsache, dass Ehegatten gemeinschaftlich testieren, die Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen noch nicht zu begründen vermag (BGH NJW-RR 1987, 1410 – 1411, zitiert nach juris, dort Rn 11), sondern dass die Wechselbezüglichkeit für jede Verfüg...

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