Die Frage der Testierfähigkeit ist im Erbscheinsverfahren nach § 26 FamFG von Amts wegen zu prüfen.[137] Dies bedeutet nicht, dass das Nachlassgericht in jedem Falle die Testierfähigkeit überprüfen müsste; denn der Grundsatz der Amtsermittlung bedeutet nicht, dass das Gericht allen nur denkbaren (theoretischen) Möglichkeiten nachgehen müsste (s. o.). Eine gerichtliche Ermittlungspflicht besteht nur dann und nur soweit, als die konkreten Umstände des festgestellten Sachverhalts und/oder substanziiert vorgetragene Auffälligkeiten[138], der Inhalt oder die äußere Form der Verfügung von Todes wegen berechtigten Anlass zu Zweifeln geben.[139]

Der pauschalen Behauptung eines der Beteiligten muss das Gericht nicht nachgehen,[140] sondern es muss ein konkretes auffälliges symptomatisches Verhalten im zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung[141] vorgetragen sein. Denn der Grundsatz, dass im Allgemeinen von der Testierfähigkeit einer Person auszugehen ist und eine Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, wirkt auch in das Erbscheinsverfahren als Amtsverfahren hinein.[142] Der Beteiligte sollte ein etwa auffälliges Verhalten des Testierenden vortragen, hierzu Zeugen benennen, die Beiziehung von Krankenakten und Befundberichten der behandelnden Ärzte beantragen und diese als Zeugen benennen.[143] Die Darlegungslast geht jedoch nicht so weit, dass – ähnlich einer Schlüssigkeitsprüfung – tatsächliche Umstände so vorgetragen werden müssen, dass sich – deren Richtigkeit unterstellt – daraus zwingend die Testierfähigkeit ergibt.[144] Der Rechtsanwalt hat dabei die Aufgabe, den Sachverhalt möglichst genau zu ermitteln und zum anderen rein emotionale Gesichtspunkte und Vermutungen auszuscheiden.[145] Dabei kann die Zuhilfenahme eines Sachverständigen von besonderem Interesse sein, um eine Sortierarbeit hinsichtlich derjenigen Verhaltensweisen des Erblassers, die für die Feststellung der Testierunfähigkeit von Bedeutung sind, leisten zu können; dies mag Kostengünstiger und wertvoller sein als ein Privatgutachten.

Konkreten Hinweisen auf Zweifel an der Testierfähigkeit hat das Gericht nachzugehen.[146] Neben der Vernehmung kundiger Zeugen[147] spielt hier die Heranziehung von Sachverständigen die entscheidende Rolle.[148]

[137] OLG Karlsruhe ErbR 2015, 456: Dazu kann es gehören, den das Testament beurkundenden Notar zu befragen und zur Verfügung stehende medizinische Unterlagen beizuziehen.
[138] BGHZ 40, 54; BayObLGZ 1979, 256, 261; BayObLG FamRZ 1997, 1028; OLG Hamm FGPrax 1997, 1028; Palandt/Weidlich, § 2229 BGB Rn 10.
[139] BayObLG ZEV 2005, 480, 481; Damrau/Weber, § 2229 BGB Rn 48.
[140] OLG Hamm FamRZ 1997, 1026; OLG Bamberg ErbR 2014, 125 und OLG Düsseldorf JurionRS 2012, 38168: Krebserkrankung allein reicht nicht; auch die damit regelmäßig einhergehende psychische Ausnahmesituation rechtfertige kein anderes Ergebnis, was schon §§ 2249, 2250 BGB zeigten. Zu Auswirkungen von Herz- und Hirninfarkt BayObLG ZEV 2005, 345. OLG Düsseldorf ErbR 2014, 140 = ZEV 2014, 53: Keine Amtsermittlung bei fehlendem Anhaltspunkt für pauschal vorgetragene Demenz.
[141] OLG Düsseldorf FamRZ 2013, 159.
[142] Staudinger/Herzog, § 2358 BGB Rn 33.
[143] NK-BGB/Beck/Kroiß, § 2229 BGB Rn 25.
[144] So zu Recht Klingelhöffer, ZEV 1997, 92, 93.
[145] Klingelhöffer, aaO.
[146] BayObLG FamRZ 1994, 593; 1996, 1036, 1037 mwN; NK-BGB/Kroiß, § 2358 BGB Rn 14 mwN; Klingelhöffer, ZEV 1997, 92; falsch insofern OLG Düsseldorf ErbR 2014, 122 mit zu Recht kritischer Anmerkung Kroiß.
[147] OLG Köln FamRZ 1992, 729.
[148] Klingelhöffer, ZEV 1997, 92, 93.

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