Die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens ist nach § 199 Abs. 1 BewG möglich, sofern es nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Eine Legaldefinition für diesen Rechtsbegriff gibt es nicht, obwohl sich Gesetzgeber und Finanzverwaltung diesbezüglich geäußert haben, entzieht sich das Tatbestandsmerkmal einer klaren Abgrenzung. Die Finanzverwaltung legt den Begriff "offensichtlich unrichtig" in erster Linie nach quantitativen Maßstäben aus, anstelle von rechtlichen Tatbestandsvorrausetzungen.[33] Diese Ansicht verleiht der Finanzverwaltung einen erheblichen Ermessensspielraum. Dabei bleibt es unklar, ab welcher Referenzgröße ein unzutreffendes Ergebnis vorliegt.[34]

Maßgeblich ist der gemeine Wert nach § 11 Abs. 2 BewG iVm § 9 Abs. 2 BewG. Auch wenn bei Unternehmen ein Annäherungswert an den gemeinen Wert ausreichend ist, können durch die Neuregelungen des Erbschaftsteuerrechts erhebliche Verzerrungen erfolgen. Da jeder Wertermittlung ein Schätzungselement zugrunde liegt, kann auch dann ein unzutreffendes Ergebnis iSd § 199 BewG vorliegen, wenn sich aus zeitnah zutage tretenden Umständen mit einer gewissen Deutlichkeit ergibt, dass die vereinfacht typisierenden Annahmen nach §§ 201203 BewG, im konkreten Fall einer Annäherung an den gemeinen Wert, nicht gerecht werden.[35] Liegt ein Erwerb von Todes wegen vor, so entsteht die Steuer nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zum Zeitpunkt des Todes. Im Fall eines unerwarteten Todes muss somit von einer unmittelbaren Zeitnähe ausgegangen werden. Zu berücksichtigen ist beifolgend, dass besonders bei KMUs[36] der Todesfall eines Gesellschafters ein Kompetenz- und Machtvakuum verursachen kann. Im Übrigen ist die Fungibilität der Anteile nicht immer in vollem Umfang gewährleistet. Die reine Ertragsperspektive der Bewertung schafft es in diesem Fall nicht, alle relevanten Umstände einzubeziehen, besonders wenn diese sich nur mittelbar auf die Ertragskraft auswirken. Das gilt insbesondere, wenn bei der Nachfolge das Risiko einer erbrechtlichen Auseinandersetzung vorliegt. Des Weiteren ist ein Todesfall nur in Einzelfällen berechenbar und sollte daher, in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG, nicht als zeitlich zu kalkulierendes Risiko für Unternehmen instrumentalisiert werden.

Die Neuregelung des § 13 a Abs. 9 ErbStG erlaubt einen Abschlag von 30 Prozent auf den gemeinen Wert von Großunternehmen, sofern bestimmte Satzungsklauseln zwei Jahre vor und 20 Jahre nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer eingehalten werden.[37] Die Forderungen des Gesetzgebers schränken den unternehmerischen Handlungsspielraum demnach langfristig ein. Im Hinblick auf die enorme Laufzeit der Satzungsklauseln kann eine gewisse Brisanz nicht abgestritten werden. Das vereinfachte Ertragswertverfahren berücksichtigt weder die Satzungsklauseln noch sonstige unternehmensspezifischen Umstände. Nach Würdigung durch das vereinfachte Ertragswertverfahren hat ein Unternehmen mit Ausschüttungssperren und weiteren Beschränkungen über eine Laufzeit von über 20 Jahren den gleichen Wert, wie ein Unternehmen ohne Satzungsklauseln und mit lediglich gleicher Ertragskraft. Der Grundsatz des § 9 Abs. 2 BewG wird hierbei umgangen. Innerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs wären die o. g. Unternehmen, aufgrund der unternehmerischen Einschränkungen und des Rückwirkungsrisikos, ohne Zweifel nicht identisch zu bewerten. In Bezug auf § 11 Abs. 2 BewG iVm § 9 Abs. 2 S. 2 BewG werden Umstände, die den Preis beeinflussen, nicht berücksichtigt und die Norm damit schlichtweg ignoriert. Auch wenn die Einschränkungen der offensichtlich unrichtigen Ergebnisse bisher weitgehend unbeachtet blieben, so wäre eine Klarstellung an dieser Stelle wünschenswert.[38] Veranlasst durch die Erbschaftsteuerreform könnte die ungeklärte Problematik erneut an Bedeutung gewinnen.

Das explizite Wahlrecht für alternative Bewertungsmethoden nach § 199 Abs. 1 und Abs. 2 BewG könnte, in Verbindung mit den Neuregelungen für die Bewertung von Betriebsvermögen, im Widerspruch mit der Existenzgrundlage des vereinfachten Ertragswertverfahrens stehen.[39] Dieses solle die Möglichkeit einer objektiven Bewertung ohne hohen Ermittlungsaufwand oder Kosten bieten.[40] Unter der Prämisse, dass jeder Unternehmer bemüht ist, seine Steuerlast zu dezimieren, wird dieses Wahlrecht in Zukunft wohl häufig Anwendung finden. Der Steuerpflichtige wird gewissermaßen dazu angehalten, eine alternative Bewertung z. B. auf Grundlage des IDW S1 vorzunehmen, um eine Verzerrung des gemeinen Wertes zu verhindern. Ob ein kostenintensives Alternativgutachten einen Vorteil gegenüber der möglichen Steuermehrbelastung bietet, wird die Praxis zeigen.

[33] Vgl. BT-Drucks. 16/11107, 22; vgl. BV-Erlass vom 17.5.2011, BStBl I 2011, 606 Abschn. 19 Abs. 5; vgl. Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, § 199 BewG, Anm. 145.
[34] Vgl. Stalleiken/Theissen, DStR 2010, 23.
[35] Vgl. Viskorf/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuer- und Schenkungsgesetz, 3. Aufl., § 199 BewG, Anm. 2.
[36] Nach der EU-Empfe...

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