Die Feststellung, dass das Vorgehen des Behinderten der Erbrechtsgarantie entspringenden negativen Erbfreiheit und dem grundrechtlich geschützten Gebot zu familiensolidarischem Verhalten entspricht und deswegen zu billigen ist, hat der Senat über das Ausschlagungsrecht zusätzlich abgesichert.

Der Verzicht des behinderten Pflichtteilsberechtigten führt nur eine Situation herbei, die in vergleichbarer Weise durch eine testamentarische Gestaltung der Eltern hätte erreicht werden können. Hätten diese sich nicht gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt, sondern – wie oft empfohlen[125] und vom Senat gebilligt[126] – dem behinderten Nachkommen bereits beim ersten Erbfall eine Miterbenstellung eingeräumt, so hätte der Sozialhilfeträger nur bei einer Ausschlagung auf den Pflichtteilsanspruch zugreifen können. Nach heute ganz einhelliger Auffassung, die der Senat jetzt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, kann der Sozialhilfeträger indes nicht das Ausschlagungsrecht auf sich überleiten und ausüben, um den Pflichtteilsanspruch nach § 2306 Abs. 1 BGB geltend zu machen.[127] Der Zugriff auf den Pflichtteil des Behinderten wäre dem Sozialhilfeträger bei einer entsprechenden testamentarischen Gestaltung in vergleichbarer Weise verwehrt gewesen wie bei Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichts. Weder kann also das Handeln des Behinderten als solches sittlich missbilligt werden, noch hat dieses ein missbilligenswertes Ergebnis zur Folge.

Mit diesem Begründungsteil hat der Senat deutlich gemacht, dass eine Ausschlagung durch Dritte nicht und schon gar nicht durch einen Sozialhilfeträger hingenommen werden darf, denn – so der Originalton:

Zitat

"Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluss zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten ist."[128]

[125] Etwa Everts, ZErb 2005, 353, 358.
[126] Vgl. vorstehend unter III.
[127] OLG Frankfurt, ZEV 2004, 24 [unter 3 c]; von Proff, ZErb 2010, 206 [unter II 4]; Vaupel, RNotZ 2009, 497 [unter V I c ee] mwN; Litzenburger, ZEV 2009, 278 [unter 3.1] und RNotZ 2005, 162 [unter II 1] mwN; Mensch, BWNotZ 2009, 162 [unter II 3.1]; Ruby, ZEV 2006, 66, Grziwotz, NotBZ 2006, 149, 151 f; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis [2006], Rn 86; Muscheler, ZEV 2005, 119 [unter I]; Ivo, FamRZ 2003, 6 [unter II 2 c]; Kuchinke, FamRZ 1992, 363 [unter III]; Bengel, ZEV 1994, 29, 30 [unter 2.3 (3)]; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 464 [unter IV 3]; Haas in Staudinger, BGB [2006] § 2317 Rn 48b mwN; wohl auch OLG Stuttgart, NJW 2001, 3484 [unter II 2 c cc]; Kleensang, RNotZ 2007, 22, 24 f; Nazari Golpayegani/Boger, ZEV 2005, 377 [unter 3.2]; Jörg Mayer, MittBayNot 2005, 286, 289; Nieder, NJW 1994, 1265 [unter V 1]; aA früher nur van de Loo, NJW 1990, 2852, 2856; MittRhNotK 1989, 233, 249 und MittRhNotK 1989, 225, 226 [unter 4], der seine entgegenstehende Auffassung in ZEV 2006, 473, 477 ausdrücklich aufgegeben hat.
[128] BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005 aaO = juris Rn 22.

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