Würde der Zweck der Vor- und Nacherbschaft immer und ausschließlich darin bestehen, durch die Beschränkung des Vorerben die Interessen des Nacherben zu sichern, wäre jede Relativierung dieser Beschränkungen tatsächlich systemwidrig und unzulässig. Vor dem Hintergrund der Zunahme von Patchwork-Familien kommt der Vor- und Nacherbschaft jedoch zunehmend eine andere Bedeutung zu, die allerdings keine Fortentwicklung dieses Instituts voraussetzt, sondern in ihm bereits von Anfang an angelegt war: Die Vor- und Nacherbschaft bewirkt eine Trennung des "eigenen" Vermögens des Vorerben und des "ererbten" Vermögens.[21] Diese Trennung der Vermögensmassen gewährleistet den Schutz des Nachlasses vor dem Zugriff gesetzlicher Erben des testierunfähigen Vorerben, z. B. vor dem des anderen Elternteils von Kindern aus einer geschiedenen Ehe, sowie vor Pflichtteilsansprüchen der Pflichtteilsberechtigten des Vorerben, in dessen Nachlass und damit auch "Pflichtteilsmasse" das "vorerbweise" Erhaltene nicht fällt; außerdem schirmt die Vor- und Nacherbschaft das Nachlassvermögen vor Gläubigern des Vorerben ab, wie das Gesetz selbst in § 2115 BGB sowie § 83 Abs. 2 InsO klarstellt. In der modernen Testamentsgestaltung stehen diese Zwecke, die mit der Vor- und Nacherbschaft immer schon verfolgt werden konnten, gegenüber einer "Beaufsichtigung" des Vorerben zunehmend im Vordergrund.[22] Soweit das Gesetz mit der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft Nachteile und Beschränkungen für den Vorerben verbindet, von denen der Vorerbe nicht gemäß § 2136 BGB befreit werden kann, wird nach Wegen gesucht, diese anderweitig zu vermeiden.[23] Die "Beaufsichtigung" des Vorerben durch den Nacherben, d. h. die Beschränkungen für den Vorerben, sind nicht Hauptzweck, sondern Nebenfolge der primär auf die Trennung der Vermögensmassen gerichteten Anordnung der Vor- und Nacherbschaft. In den Motiven wird diese Nebenfolge aus der Parallelität der Vor- und Nacherbschaft zum Institut der bedingten Verfügung, also zum heutigen § 161 BGB, abgeleitet.[24]
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