Die vorliegend zu entscheidende Frage, ob eine wirksame Pflichtteilsentziehung nach § 2333 BGB dazu führt, dass ein Abkömmling nach § 2309 BGB nicht von der Geltendmachung des Pflichtteils ausgeschlossen ist, ist grundsätzlich zu bejahen. Wie der BGH zutreffend ausgeführt hat, soll der Abkömmling desjenigen, dem der Pflichtteil wirksam entzogen wurde, nicht schlechter stehen, als derjenige dessen Elternteil für erbunwürdig erklärt wurde. Nach § 2344 Abs. 2 BGB fällt nämlich die Erbschaft demjenigen an, der zur Erbfolge berufen sein würde, wenn der Erbunwürdige zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr gelebt hätte. Die Erbunwürdigkeit anders zu behandeln als die wirksame Pflichtteilsentziehung lässt sich daher nicht begründen. In beiden Fällen geht es um die Sanktion eines persönlichen Verhaltens eines Abkömmlings und nicht um die eines ganzen "Stammes". Anlass zu einer Anmerkung gibt es daher eigentlich nur im Hinblick auf den in der Literatur umstrittenen Fall, dass dem Abkömmling nicht der Pflichtteil entzogen, dieser aber auf den Pflichtteil verzichtet hat, ohne dass sich der Verzicht auf die Abkömmlinge erstreckt (abweichend von § 2349 BGB). In diesem Fall geht ein Teil der Literatur davon aus, dass der entferntere Berechtigte in der Geltendmachung seines Pflichtteils nicht beschränkt ist (Lange/Kuchinke Erbrecht, 5. Aufl. 2001 § 37 IV 1 b Fn 66; RGRK/Johannsen § 2309 Rn 12; J. Mayer in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, Handbuch des Pflichtteilsrechtes, 2. Aufl. 2010 § 2 Rn 34). Die wohl überwiegende Auffassung lehnt hingegen eine Pflichtteilsanspruch eines nachrückenden Abkömmlings mit der zutreffenden Begründung ab, dass der Pflichtteilsverzicht die Testierfreiheit des Erblassers erweitern, nicht aber das Pflichtteilsrecht entfernterer Abkömmlinge stärken soll (vgl. Staudinger/Haas, Neub. 2006 § 2309 Rn 11, 33; Soergel/Dieckmann, § 2309 Rn 10 mwN). Wie Kurze (in Damrau Praxiskommentar Erbrecht, 2. Aufl. 2011, § 2349 Rn 8) daher zutreffend rät, sollte die Erstreckungswirkung beim Pflichtteilsverzicht gemäß § 2349 BGB ausdrücklich klargestellt werden.

Dr. Manuel Tanck, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht, Mannheim

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