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Der Darstellung der sachrechtlichen Lage in den Vereinigten Staaten und in Italien im ersten Teil des vorliegenden Beitrages folgt jetzt die kollisionsrechtliche Analyse, welche die Frage nach der Qualifikation der US-amerikanischen after-born child statutes und des Art. 687 c.c. zum Gegenstand hat.

II. Die Qualifikation der after-born child statutes und des Art. 687 c.c.

1. Die Qualifikation der after-born child statutes

Begonnen wird mit der Qualifikation der US-amerikanischen after-born child statutes. Entsprechend dem bereits erwähnten[1], von den US-amerikanischen Gerichten einhellig angenommenen Zweck der after-born child statutes ist innerhalb der EuErbVO zunächst eine Qualifikation dieser Regelungen als Bestimmungen in Erwägung zu ziehen, welche die "Auslegung" einer Verfügung von Todes wegen im Sinne des Art. 26 Abs. 1 lit. d) EuErbVO betreffen. Darüber hinaus lässt sich erwägen, derartige Regelwerke als solche anzusehen, welche "Fragen in Bezug auf Willensmängel" des Erblassers im Sinne des Art. 26 Abs. 1 lit. e) EuErbVO betreffen. Denn § 2079 BGB – das Pendant zu den after-born child statutes im deutschen Sachrecht – fällt unter Art. 26 Abs. 1 lit. e) EuErbVO[2]. Das Problem mit einer solchen Qualifikation zugunsten des Art. 24 EuErbVO lässt sich aber anhand des folgenden Beispiels verdeutlichen:

Erblasser E lebt zusammen mit seiner Frau F in Arkansas. Während seines dortigen Aufenthaltes entscheidet er sich, ein Testament zu errichten, in dem er sein gesamtes Vermögen auf seinen besten Freund G überträgt. Zwei Jahre später kommt sein erster Sohn mit F zur Welt. Ein Jahr danach wird er erneut Vater. Fünf Jahre später muss E aus beruflichen Gründen nach Deutschland mit seiner Familie ziehen. F verstirbt ein Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschland und E drei Jahre danach. Sein Vermögen besteht ausschließlich aus unbeweglichem Vermögen, das sich in Arkansas befindet.

Geht man in dem gerade geschilderten Fall davon aus, dass after-born child statutes wegen Art. 26 Abs. 1 lit. d), e) EuErbVO Art. 24 EuErbVO unterliegen, so ist das Sachrecht von Arkansas nach Art. 24 Abs. 1, 21 Abs. 1 EuErbVO anzuwenden, da E zur Zeit der Errichtung seines Testaments dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte[3]. Nach A.C.A. § 28-39-407 (a) hat ein Kind des Erblassers, das nach der Errichtung eines Testaments geboren ist und das im Testament weder erwähnt noch bedacht wurde, das Recht, einen Teil des Nachlasses des Erblassers zu fordern, der demjenigen entspricht, der ihm zustünde, wenn im Erbfall die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre. Hier sind die beiden Kinder des E nach der Errichtung seines Testaments geboren. Sie wurden zudem weder im Testament erwähnt noch durch dieses bedacht. Dementsprechend sind sie nach A.C.A. § 28-39-407 (a) dazu berechtigt, einen Teil des Nachlasses des Erblassers zu fordern, der demjenigen entspricht, der ihnen zustünde, wenn im Erbfall die gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre. Die Frage aber, wie viel sie nach der gesetzlichen Erbfolge geerbt hätten, ist eine Vorfrage, die von der lex successionis beantwortet wird, vgl. Art. 23 Abs. 2 lit. b) EuErbVO. Indem E in Deutschland seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, ist nach Art. 21 I EuErbVO deutsches Sachrecht[4] anwendbar. Nach § 1924 I, IV BGB hätten die Kinder des E als dessen Abkömmlinge sein gesamtes Vermögen geerbt. Jedes Kind ist hier also nach A.C.A. § 28-39-407 (a) dazu berechtigt, die Hälfte des Vermögens des E zu fordern.

Die lex successionis entscheidet allerdings nicht nur über die Höhe der Anteile, die den Kindern des E im Fall der gesetzlichen Erbfolge zustünden, sondern nach Art. 23 Abs. 2 lit. h) EuErbVO auch über etwaige Pflichtteilsrechte. Nach § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Abkömmling des Erblassers von dem Erben den Pflichtteil verlangen, wenn er durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde. E hat testamentarisch sein gesamtes Vermögen G überlassen. Mithin wurden die Kinder durch eine Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge des E ausgeschlossen mit der Folge, dass sie deren Pflichtteil verlangen dürfen[5]. Nach § 2303 I 2 BGB besteht der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Wie bereits festgestellt, wären die Kinder des E seine gesetzlichen Alleinerben gewesen. Dementsprechend sind sie jeweils dazu berechtigt, ¼ des Vermögens des E als Pflichtteil zu verlangen.

Im Ergebnis sind die Kinder des E also jeweils dazu berechtigt, Ansprüche iHv ¾ des Nachlasses des E einzufordern. Die Qualifikation der after-born child statutes als Regelungen, die Art. 24 EuErbVO unterliegen, führt also zu Anpassungsproblemen[6]. Diese sind vor allem darauf zurückzuführen, dass derartige Regelungen an das gesetzliche Erbrecht der übergangenen Kinder zur Ermittlung der Höhe deren Anspruchs anknüpft, deren gesetzliches Erbrecht aber nach dem allgemeinen Erbstatut angeknüpft wird. Zudem gewähren after-born child statutes den übergangenen Kindern selbstständige Ansprüche, die (zumindest faktisch) zu deren Schutz beibringen und somit eine Gesetzeslücke schließen, die deshalb besteht, weil die Rechtsordnung...

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