Die weitere Beschwerde und die weitere Anschlussbeschwerde sind zulässig eingelegt. Jedoch erweist sich nur die weitere Anschlussbeschwerde als begründet. (...) Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Betreuung ist nach Satz 2 der Vorschrift u. a. nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen nicht von Gesetzes wegen ausgeschlossen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.

Hier hatte die Betroffene der Beteiligten zu 1 am 30.8.2007 eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt, die grundsätzlich nach Inhalt und Reichweite zur Vermeidung einer Betreuung im Sinne von § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB geeignet war. Durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Vollmacht im Hinblick auf § 104 Nr. 2 BGB bestehen nach Auffassung des Senats – insoweit abweichend von der Einschätzung des Landgerichts – nicht.

Geschäftsunfähig sind Volljährige, wenn sie sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB). Der Betroffene muss danach an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit leiden. Gleichgültig ist, unter welchen medizinischen Begriff die Störung fällt. § 104 Nr. 2 BGB umfasst nicht nur Geisteskrankheit, sondern auch Geistesschwäche (vgl. RGZ 130, 71; RGZ 162, 228; BGH WM 1965, 895). Die krankhafte Störung darf nicht vorübergehender Natur sein. § 104 Nr. 2 BGB setzt einen Dauerzustand voraus. Die krankhafte Störung muss die freie Willensbestimmung ausschließen. Das ist der Fall, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl. RGZ 130, 71; BGH NJW 1970, 681; BGH FamRZ 1984, 1003; BayObLG NJW 1992, 2101). Bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit genügen nicht, ebenso wenig das Unvermögen, die Tragweite der abgegebenen Willenserklärung zu erfassen (vgl. BGH NJW 1961, 261). Dagegen kann die übermäßig krankhafte Beherrschung durch den Willen anderer die Anwendung von § 104 Nr. 2 BGB rechtfertigen (vgl. RG JW 1938, 1590; OLG Düsseldorf FamRZ 1998, 1064).

Nach allgemeiner Auffassung ist bei einem Volljährigen die Geschäftsfähigkeit als Regel zu unterstellen. Ihr Fehlen ist die Ausnahme. Wer sich auf Geschäftsunfähigkeit beruft, hat daher ihre Voraussetzungen zu beweisen (BGH NJW 1972, 681; BayObLG Rpfleger 1982, 286; OLG Düsseldorf aaO; Palandt/Ellenberger BGB 68. Aufl. § 104 Rn 8).

Dass die Betroffene aufgrund ihrer graduell fortschreitenden demenziellen Erkrankung, die sowohl die Sachverständige Dr. W. als auch Gutachter Dr. L festgestellt haben, zum Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer im November 2008 nicht mehr geschäftsfähig war, lässt für sich genommen keinen Rückschluss auf ihren geistigen Zustand zur Zeit der Erteilung der Vollmacht am 30.8.2007 zu.

Der von der Kammer beauftragte Sachverständige Dr. L., ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat u. a. aufgrund einer ambulanten psychiatrischen Untersuchung der Betroffenen in seinem zeitnah hierzu erstatteten Gutachten vom 6.8.2008 als Schlussfolgerung ausgeführt:

"Aus Sicht des Unterzeichners spricht viel dafür, dass zum Zeitpunkt der Vorsorgevollmacht am 30.8.2007 bereits erhebliche hirnorganische Beeinträchtigungen vorgelegen haben. Allerdings kann nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass Frau B. bei der Verfügung am 30.8.2007 noch zur freien Willensbestimmung in der Lage war. Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen bei der Erteilung der Vorsorgevollmacht kann damit im Ergebnis noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden."

Der Senat misst ist in diesem Zusammenhang auch den sachverständigen Ausführungen der Medizinaloberrätin Dr. W. vom Gesundheitsamt R. erhebliche Bedeutung bei. Diese hatte die Betroffene am 3.12.2007 in deren Haus untersucht und anschließend zu den Fragen des Gerichts Stellung genommen. In ihrer Stellungnahme vom 19.12.2007 hatte sie zunächst über die Betroffene ausgeführt:

"Sie kann aufgrund der eingeschränkten freien Willensbildung keine von ihren Angelegenheiten selbst besorgen. Die Bestellung eines Betreuers für die Aufgabenkreise alle Angelegenheiten, einschließlich Erbschaftsangelegenheiten und Angelegenheiten als Hauseigentümer, ist bei ihr erforderlich."

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.1.2008 teilte die Sachverständige – unter Hinweis auf die Schwierigkeit einer rückschauenden Beurteilung geistiger Funktionen aufgrund einer aktuellen Untersuchung – mit:

"Legt man das Krankheitsbild vom 3.12.2007 zugrunde, so war die Betroffene am 30.8.2007 geistig in der Lage, ihren Willen bezüglich der Grundsatzentscheidungen – alle bis dahin erteilten Vollmachten zu widerrufen und eine neue Vollmacht zugunsten der Tochter auszustellen – frei zu treffen. Sie war nicht in der Lage, die Einzelvereinbarungen und ihre Hintergründe...

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