Leitsatz

1. Die auf den Erben entsprechend seiner Erbquote entfallenden Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührende Einkommensteuer des Todesjahres, einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag, sind als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig (Änderung der Rechtsprechung).

2. Bei einer Zusammenveranlagung von im selben Jahr verstorbenen Ehegatten sind Abschlusszahlungen für das Todesjahr analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig.

BFH, Urteil vom 4. Juli 2012 – II R 15/11

Sachverhalt

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist neben ihrer Schwester zu 1/2 Miterbin ihres am 31. Dezember 2004 verstorbenen Vaters (V). Ihre Mutter (M) war bereits am 13. November 2004 vorverstorben. Für 2004 wurden V und M zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2004 waren – nach Anrechnung der von V und M entrichteten Vorauszahlungen, des Zinsabschlags und der Kapitalertragsteuer – Abschlusszahlungen in Höhe von insgesamt 1.823.885 EUR zu entrichten.

Die Klägerin machte die Hälfte der Abschlusszahlungen als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA –) versagte in dem geänderten Steuerbescheid vom 22. September 2008 einen Abzug und setzte die Erbschaftsteuer gegen die Klägerin auf 473.936 EUR fest.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass die Einkommensteuer des Todesjahres des Erblassers beim Erben nicht als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden könne, weil sie am maßgeblichen Stichtag noch nicht entstanden gewesen sei. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1342.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG).

Während des Revisionsverfahrens hat das FA mit Bescheid vom 5. Juni 2012 die Erbschaftsteuer wegen hier nicht streitiger Punkte auf 532.817 EUR erhöht.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, ihre Eltern hätten ein Berliner Testament errichtet. Danach hätten sich die Eltern gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Die Erbschaft nach ihrer Mutter sei ausgeschlagen worden.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 5. Juni 2012 dahin zu ändern, dass die von ihr zu tragenden Zahlungen der Einkommensteuer, der Kirchensteuer sowie des Solidaritätszuschlags für V und M für 2004 in Höhe von 911.942,50 EUR als zusätzliche Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Aus den Gründen

Die Revision ist begründet. Sie führt bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung. Da während des Revisionsverfahrens ein Änderungsbescheid ergangen ist, ist das Urteil des FG gegenstandslos geworden (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 17. Januar 2008 VI R 44/07, BFHE 220, 269, BStBl II 2011, 21). Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um den von der Klägerin begehrten Abzug der Nachlassverbindlichkeiten beurteilen zu können. Die anteilig auf die Klägerin als Miterbin entfallenden Abschlusszahlungen für Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag für 2004 sind, soweit sie V betreffen, entgegen der Auffassung des FG als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Soweit die Abschlusszahlungen M betreffen, sind sie als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig, wenn V Alleinerbe der vorverstorbenen M war. Ist dagegen V wegen einer Ausschlagung der Erbschaft nicht Alleinerbe der M geworden, scheidet ein Abzug der M betreffenden Abschlusszahlungen als Nachlassverbindlichkeiten bei dem hier der Besteuerung zugrunde liegenden Erwerb von Todes wegen nach V aus. Das FG hat – aus seiner Sicht zu Recht – noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob V Alleinerbe der M war oder ob die Erbschaft ausgeschlagen wurde.

1. Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind von dem Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb oder Anteil an einem Gewerbebetrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits nach § 12 Abs. 5 und 6 ErbStG berücksichtigt worden sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Nachlassverbindlichkeiten in diesem Sinne sind auch die vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden, die gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), § 45 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auf den Erben übergegangen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BFHE 229, 363, BStBl II 2010, 641, mwN).

Nach § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über. Gemäß § 1967 BGB haften die Erben für die...

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