Kehrseite des im BGB verankerten Vonselbsterwerbs, d.h. dem Anfall einer Erbschaft in der Sekunde des Todesfalles ohne Zutun des Erben, ist das Recht zur Entsagung der Erbschaft durch die Ausschlagung (§§ 1942 ff. BGB). Der sich noch innerhalb der Ausschlagungsfrist befindliche Erbe, der die Erbschaft noch nicht angenommen hat, wird als vorläufiger Erbe bezeichnet.[2]

Die Stellung des vorläufigen Erben ist durch ein gewisses Maß an Unsicherheit geprägt, da die güterrechtliche Zuordnung der Nachlassgegenstände bis zum Ende der Ausschlagungsfrist noch nicht endgültig ist. Die Rechtsstellung des vorläufigen Erben ist im Wesentlichen in § 1958 und § 1959 BGB geregelt. Demnach kann er Rechtsgeschäfte nur teilweise wirksam vornehmen, während die ihm gegenüber als Erben vorgenommenen, wirksam bleiben (§ 1959 BGB). Die Nachlassgläubiger können ihm gegenüber die Erfüllung einer Verbindlichkeit jedenfalls nicht gerichtlich geltend machen (§ 1958 BGB).[3] Dementsprechend herrscht für alle Beteiligten ein "temporärer Schwebezustand"[4], dessen schnelle Beendigung im Interesse der Rechtssicherheit schnellstmöglich herbeizuführen ist.

Wie schnell das geschehen mag, ist vor allem eine Frage des Kenntnisstandes des Erben. Denn auch er mag von Ungewissheit geplagt sein, wenn ihm nämlich der Bestand der ihm zugefallenen Erbschaft nicht oder nur wenig bekannt ist: Je weniger er über den Bestand des Nachlasses weiß, desto zögerlicher wird er die Erbschaft annehmen.[5] Für ihn wird daher die Ermittlung der Aktiva und Passiva des Nachlasses im Vordergrund stehen. Einerseits, um sich eine günstige Gelegenheit auf Vermögensmehrung nicht entgehen zu lassen, andererseits, um nicht in eine Schuldenfalle zu tappen. Angesichts der anfänglich unbeschränkten und nicht ohne Weiteres beschränkbaren Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten[6] agieren einige vorläufige Erben geradezu übervorsichtig und vorschnell. In der Praxis ist daher oftmals die Daumenregel "im Zweifel ausschlagen" anzutreffen.[7] So wird jeder Praktiker des Erbrechts schon einmal erlebt haben, dass vorläufige Erben aus Furcht vor der Haftung für Nachlassverbindlichkeiten tatsächlich werthaltige Erbschaften vorschnell ausgeschlagen haben. Besonders anschaulich wird dies in einem unlängst vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall, der darüber hinaus auch verdeutlicht, dass die Anfechtung einer vorschnellen Ausschlagung kein Selbstgänger ist.[8]

[2] Vgl. Creifelds kompakt/Fuchs, Rechtswörterbuch 1. Edition 2019: Erbe, vorläufiger; BeckOGK/Heinemann, 1.7.2019, BGB § 1959 Rn 17.
[3] Ob auch der vorläufige Erbe die Erfüllung von Nachlassverbindlichkeiten mittels der Dreimonatseinrede aus § 2014 BGB verweigern kann, ohne dass er die Erbschaft pro herede gestio annimmt (§ 1943 BGB), ist umstritten: Vgl. BeckOGK/Herzog, 1.10.2019, BGB § 2014 Rn 20 ff.; MüKoBGB/Küpper, 8. Aufl. 2020, BGB § 2014 Rn 6.
[4] Eickelberg, ZEV 2018, 489.
[5] Vgl. Moser, 68. DJT (2011), Verhandlungen Bd. II/2, L 239.
[6] Vgl. K. Osthold, Erben und Haftung, 29 ff. Den Zusammenhang zwischen Ausschlagung und Haftungsbeschränkung konstatiert auch das OLG Düsseldorf v. 7.8.2019 – I-3 Wx 170/18, ErbR 2020, 48.
[7] Sick, ZErb 2010, 325; Bartsch, ZErb 2010, 345. Gleichwohl wird im Schrifttum betont, dass eine Ausschlagung nicht leichtfertig erklärt werden sollte, vgl. Joachim, Die Haftung des Erben (2. Aufl. 2006), Rn 115; Groll/Muscheler (3. Aufl. 2010), C II Rn 11; Herzog, ErbR 2013, 71 f.

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