Wir wollen unser obiges Beispiel aus Abschnitt III. abwandeln. Der zweite Miterbe wehrt sich gegen die Auszahlung an den bedürftigen ersten Mitereben und trägt vor, dass dann oder stattdessen seine oder alle Steuern aus dem Nachlass bezahlt werden müssten, die durch die Vermietung der Immobilien entstehen (Einkünfte aus VuV).

Das OLG Frankfurt/Main thematisierte dies im Ansatz, fand aber für seinen Fall einen Ausweg, dieser schwierigen Frage nicht weiter nachgehen zu müssen.[34] Der BGH hat in der vom OLG Frankfurt hier zitierten Grundsatzentscheidung BGHZ 25, 275 den Gleichbehandlungsgrundsatz unter den Erben schlicht als gegeben voraussetzt mit seiner umgekehrten Feststellung, ein Miterbe, der auch Schuldner "seines" Nachlasses sei, sei ein Schuldner wie jeder andere und könne und müsse daher vom Testamentsvollstrecker ohne weiteres in Anspruch genommen werden.[35] Das OLG Frankfurt/Main scheint sich in seinem Beschl. v. 15.2.2016 nicht endgültig sicher zu sein (Rn 34 der Entscheidung). Auch im Urteil des BGH vom 24.9.1971 – V ZB 6/71[36] wird der Gleichheitsgrundsatz angeschnitten.[37] Der BGH gewährte den Schutz des § 2205 S. 3 BGB allen Erben gleichberechtigt, nicht aber sonstigen Nachlassbeteiligten: "Der Testamentsvollstrecker ist nicht verpflichtet, gegenüber allen nur möglichen Betroffenen in gleicher Weise objektiv zu verfahren. So trifft ihn nicht gegenüber allen Nachlassgläubigern die Verpflichtung, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten."[38]

Daraus wird man schließen können, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz seine einfachgesetzliche Rechtsgrundlage in § 2216 Abs. 1 BGB hat: in der schuldrechtlichen Beziehung und Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung des Testamentsvollstreckers für den Nachlass gegenüber dem oder den Erben und ggf. den Vermächtnisnehmern.[39] Primärer Ausgangspunkt der Überlegung und Prüfung zu § 2216 Abs. 1 BGB ist also auch hier zunächst der Nachlass, der den Maßstab festlegt: hat der Testamentsvollstrecker eine Pflichtverletzung begangen, gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen und daher im Zuge dessen einen der Miterben sachwidrig anders, d.h. rechtswidrig im Sinne von § 2216 Abs. 1 BGB behandelt? Denn der Erblasser kann, ohne gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen, mittels seiner Testierfreiheit bis hin zur Enterbung sein Erbe so verteilen, wie er will und daher auch unterschiedlich hohe Erbteile verfügen.[40] Es gibt allein aufgrund der Stellung als Miterbe ipso jure also keine Privilegien, so auch der BGH in BGHZ 25, 275. Daher entscheidet § 2216 Abs. 1 BGB auch über die Rechtmäßigkeit der unterschiedlichen Ausschüttungspraxis des Testamentsvollstreckers in Hinblick auf einzelne Miterben, die nichts ausgeschüttet bekommen. Es liegt deshalb kein Verstoß gegen § 2216 Abs. 1 BGB und gegen den Gleichheitssatz vor, wenn im Falle des bedürftigen Erben (Unterhalt) die Rechtsprechung als Fallgruppe diese Ungleichbehandlung zulässt und der Testamentsvollstrecker bei den Fragen über "ob" und ggf. "wie" der Ausschüttung sein Ermessen im o.g. Sinne ordnungsgemäß gebraucht hat (Abschnitt III.). Die ungleiche Behandlung (Art 3 Abs. 1 GG) ist sachlich gerechtfertigt aufgrund des Abwägungsprozesses und -ergebnisses des Testamentsvollstreckers.

Dabei kann evtl. auch der zweite Miterbe, der keine Ausschüttung für den Unterhalt bekommt, betroffene (Verfassungs-)Rechte nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG vortragen. Denn auch der zweite Miterbe sieht sich der Testierfreiheit nur in dem von uns ermittelten Umfang gegenüber: dass der Testamentsvollstrecker die (nachwirkende) Testierfreiheit gemäß § 2216 Abs. 1 BGB "nur" noch objektiv und konkret mit einer vom Erblasserwillen unabhängigen Entscheidung umzusetzen hat. Auch der zweite Miterbe könnte evtl. mit der nachlassbedingten Steuerlast eine anerkannte Rechtsposition haben, die dazu führt, dass ihr Wohl und Interesse rechtlich erstarkt zu einer vergleichbaren Rechtsposition wie die des bedürftigen Miterben und so die von BGHZ 25, 275, (279, 280) gezogene Grenze überschreitet. Der Miterben könnte verlangen, dass nachlassbedingte Steuern wie z.B. diejenigen für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus Nachlassmitteln zu bestreiten sind. Allerdings ist, wie wir noch sehen werden, die verfassungsrechtliche Rechtsposition des Erben, der die nachlassbedingten Steuern mit Nachlasserträgen bezahlt haben will, schwächer als die des bedürftigen Erben. Wir werden dies i.E. sehen im nachfolgenden Abschnitt VI.2.

Im Grundsatz aber können wir für unsere Auffassung, dass das Ermessen des Testamentsvollstreckers stets, wenn auch ggf. eingeschränkt, erhalten bleiben muss, auch beim Abwägungsprozess im Rahmen einer Erbengemeinschaft ins Feld führen: nur diese Abwägung, zu der der Testamentsvollstrecker berufen ist, erlaubt es, auch die evtl. möglichen (Verfassungs-)Rechte weiterer Miterben und Vermächtnisnehmer rechtlich angemessen und damit letztlich rechtlich richtig zu berücksichtigen. Dazu unter Abschnitt VI.2.

Dass dadurch die Arbei...

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