Leitsatz

1. Der Notar muss den Nachlassbestand selbst ermitteln und feststellen. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. (redaktioneller LS)

2. Der Pflichtteilsberechtigte kann die Ergänzung bzw. Berichtigung eines notariellen Nachlassverzeichnisses auch dann verlangen, wenn dieses wegen unterbliebener Mitwirkung des Erben teilweise unvollständig ist (hier: verweigerte Zustimmung des Erben zu einem Kontendatenabruf des Notars bei einem ausländischen Kreditinstitut) (amtlicher LS).

3. Ein Anspruch auf Berichtigung eines Nachlassverzeichnisses besteh auch dann, wenn sich ein Notar auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeit beschränkt (redaktioneller LS)

BGH, Urt. v. 20.5.2020 – IV ZR 193/19

1 Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Wege der Vollstreckungsabwehrklage, die Zwangsvollstreckung aus dem Teil-Anerkenntnis- und Teilurteil des Amtsgerichts Bonn vom 23.11.2017 (Az. 105 C 6/17) für unzulässig zu erklären. Sie ist eine Tochter und die testamentarische Erbin der am 22.9.2010 verstorbenen Marianne G. (im Folgenden: Erblasserin). Die Beklagten sind die Töchter einer weiteren vorverstorbenen Tochter der Erblasserin. Sie nahmen die Klägerin in dem Verfahren Amtsgericht Bonn 105 C 6/17 im Wege der Stufenklage auf Zahlung des Pflichtteils in Anspruch. Durch Teil-Anerkenntnis- und Teilurteil des Amtsgerichts Bonn vom 23.11.2017 wurde die hiesige Klägerin verurteilt, gegenüber den Beklagten Auskunft gemäß § 2314 BGB über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariell aufgenommenen und vom Notar unterzeichneten ausführlichen, systematischen und vollständigen Verzeichnisses zu erteilen und die Beklagten (dortige Klägerinnen) bei der Aufnahme des Verzeichnisses zuzuziehen.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bat den von der Klägerin beauftragten Notar mit Schreiben vom 22.4.2014 unter anderem darum, zur Klärung bestehender Bankguthaben auch eine Anfrage bei den Banken und der Sparkasse vorzunehmen, welche Filialen in Millstatt/Kärnten und Umgebung haben. Die Klägerin erteilte dem Notar zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses am 24.9.2015 eine Vollmacht, Kontenauskünfte zur Errichtung des Nachlassverzeichnisses bei deutschen Kreditinstituten zu beantragen. In der Folge legte die Klägerin ein notarielles Nachlassverzeichnis am 4.5.2018 vor. In dem Nachlassverzeichnis wies der Notar unter III (2) (b) darauf hin, dass er einen Kontendatenabruf für Konten in Österreich nicht habe vornehmen können. Die Klägerin habe die erforderliche Zustimmung zu einer derartigen Ermittlung nicht erteilt. (…)

Die Klägerin meint, sie habe den titulierten Auskunftsanspruch durch die Vorlage des notariellen Verzeichnisses vom 4.5.2018 erfüllt.

Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter.

2 Gründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten hätten gegen die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 S. 1 und 3 BGB. Der titulierte Anspruch sei nicht durch Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses vom 4.5.2018 erfüllt und damit erloschen. Zwar könne aus sachlichen Gründen grundsätzlich keine Ergänzung oder Berichtigung des Nachlassverzeichnisses verlangt werden und der Pflichtteilsberechtigte sei auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung zu verweisen. Von diesem Grundsatz gebe es aber unter anderem eine Ausnahme bei – hier vorliegender – offensichtlicher Unvollständigkeit des notariellen Nachlassverzeichnisses. Maßgebend hierfür seien der Kenntnisstand und die Erkenntnismöglichkeiten des Auskunftspflichtigen. Der Notar müsse den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt verantworte. Hier sei das Nachlassverzeichnis erkennbar unvollständig, weil die Klägerin dem Notar nicht die Zustimmung zur Einholung einer Auskunft bei der Raiffeisenbank M. erteilt und dadurch ihre Pflicht zur Mitwirkung an der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses verletzt habe. Der Notar habe im Hinblick auf die Raiffeisenbank M. nicht die erforderlichen eigenständigen Ermittlungen durchführen können. Der Auskunftsanspruch sei auch nicht durch die am 4.1.2011 durch die Klägerin im Rahmen des österreichischen Verlassenschaftsverfahrens erstattete Vermögenserklärung erfüllt. Diese bleibe hinter den Voraussetzungen und Wirkungen eines notariellen Nachlassverzeichnisses im Sinne des § 2314 Abs. 1 S. 1 und 3 BGB zurück. Inwieweit der österreichische Gerichtskommissär tatsächlich eine abschließende und vollständige Auskunft über alle Aktiva und Passi...

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