Einführung

Am 18.6.2009 hat der deutsche Bundestag überraschend eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung beschlossen. Hiernach wird die Patientenverfügung im Betreuungsrecht geregelt. Eine Patientenverfügung muss künftig zu ihrer Wirksamkeit schriftlich niedergelegt werden. Der Patientenwille ist oberstes Gebot und unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung zu beachten. Nur bei Zweifeln am tatsächlich vorhandenen Patientenwillen muss das Vormundschaftsgericht die beabsichtigten Maßnahmen genehmigen. Die gesetzlichen Neuregelungen zur Patientenverfügung sollen bereits zum 1.9.2009 in Kraft treten. Doch ist, was lange währt, auch wirklich gut?

I. Einführung

Die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen war in Deutschland bislang stark umstritten. Der BGH[1] hatte seinerzeit in seiner Entscheidung vom 17.3.2003 klargestellt, dass lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen zu unterbleiben haben, wenn der entscheidungsunfähige Patient einen derartigen Willen in einer Patientenverfügung geäußert hatte. Den Abbruch bzw. das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen, die von Ärzten angeboten werden, hatte der BGH jedoch auch beim Vorhandensein einer Patientenverfügung von der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts abhängig gemacht. Dem Vormundschaftsgericht oblag insbesondere die Klärung der Frage, ob die Krankheit des Patienten einen irreversiblen und tödlichen Verlauf genommen hat.

Mit der gesetzlichen Neuregelung ist die Frage der Verbindlichkeit einer schriftlich niedergelegten Patientenverfügung nun geklärt, was durchaus begrüßenswert ist. Doch offensichtlich ist der Gesetzgeber mit der Neuregelung über das verfolgte Ziel hinausgeschossen, was nachfolgend anhand von zwei Fallbeispielen aufgezeigt werden soll:

 

Fallbeispiel 1:

Der 25-jährige Balletttänzer Uwe L. und seine 17-jährige Lebenspartnerin Natascha Z., beide aufstrebende Ensemblemitglieder der Münchener Staatsoper, verunglücken mit dem Tourneebus auf der Fahrt zu einem Engagement an der Semper-Oper in Dresden. In der Klinik werden der bewusstlose Uwe L. und seine ebenso bewusstlose Freundin Natascha Z. wegen ihres kritischen Gesundheitszustands ins künstliche Koma versetzt. Eine Sepsis bei beiden Patienten macht eine Amputation der Beine zur Lebenserhaltung unumgänglich. Kurz vor der Operation werden bei den persönlichen Papieren zwei Patientenverfügungen gefunden. Uwe L. und Natascha Z. haben wortgleich verfügt:

Sollte ich mich im Zustand der Bewusstlosigkeit befinden und meinen Willen nicht mehr äußern können, verfüge ich was folgt:

Für den Fall, dass infolge eines Unfalls eines meiner Gliedmaßen z. B. wegen einer Blutvergiftung amputiert werden muss, soll die Maßnahme in jedem Fall unterlassen werden, auch wenn das Risiko besteht, dass ich infolge des Unterbleibens der Maßnahme versterbe.

 

Fallbeispiel 2:

Die Kinder der 65-jährigen Erna F. befürchten, dass im Falle einer Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter hohe Kosten für deren Unterbringung im Pflegeheim auf sie zukommen könnten. Zwar verfügt Erna F. über ein stattliches Vermögen. Dieses soll nach Meinung der Kinder aber nur ihnen selbst zugute kommen und nicht für die Bezahlung eines Pflegeheimes verschwendet werden. Sie verfassen eine Patientenverfügung und legen diese ihrer Mutter zur Unterschrift vor. Erna F. unterschreibt ohne zu lesen. Sie vertraut ihren Kindern blind. Ein halbes Jahr später erleidet Erna F. in ihrer Wohnung einen Schlaganfall. Sie wird bewusstlos aufgefunden. In der Klinik fällt Erna F. ins Koma. Nach der Prognose der Ärzte ist nicht auszuschließen, dass Erna F. aus diesem Koma wieder erwacht. Nachdem sich der Zeitpunkt des Erwachens aber noch hinziehen kann, ist eine vorübergehende künstliche Ernährung über eine Magensonde unumgänglich. Die Ärzte versichern, dass Erna infolge ihrer Gehirnschädigungen zeitlebens ein Pflegefall bleiben wird und nie wieder selbstständige Entscheidungen wird treffen können. Die Kinder legen den Ärzten die von Erna F. unterschriebene Patientenverfügung vor. In dieser ist geregelt, dass lebenserhaltende Maßnahmen im Falle einer apoplexbedingten Gehirnschädigung ohne die Möglichkeit vollständiger Genesung in jedem Fall zu unterbleiben haben, auch wenn die Möglichkeit für den Patienten, aus diesem Zustand zu erwachen, nicht sicher auszuschließen und der Todeszeitpunkt nicht absehbar ist.

Wie sind die oben geschilderten Fälle auf der Grundlage der gesetzlichen Neuregelung zu entscheiden?

II. Die gesetzliche Neuregelung (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 1901 a durch folgende Angaben ersetzt:

“§ 1901 a Patientenverfügung

§ 1901 b Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens

§ 1901 c Schriftliche Betreuungswünsche, Vorsorgevollmacht“.

2. Nach § 1901 werden folgende §§ 1901 a u...

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