Leitsatz

1. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nach dem Erbfall befugte Dritte Abhebungen an Bankautomaten mit einer Bankkarte tätigten, sodass der Bank ein Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 676h BGB entstanden ist, trifft grundsätzlich das Bankinstitut.

2. Die Mitnahme von Bankkarten ins Ausland ist für sich genommen ebenso wenig pflichtwidrig wie die etwaige Notierung der PIN durch den Erblasser und Verwahrung bei seiner Habe – etwa im selben Raum – oder die Mitnahme von Bankkarte und PIN in ein Krankenhaus, solange nicht Unbefugte beides in einem Zugriff erlangen können.

3. Eine sekundäre Darlegungslast als Beweiserleichterung für das Bankinstitut trifft den Erben dann nicht, wenn sie keine weiterreichenden Informationsquellen als der primär Beweisbelastete haben, weil sie nicht wissen und nicht aus eigener Kenntnis oder aus ihnen zugänglichen Unterlagen schließen können, was nach dem Erbfall geschehen ist.

4. Die Regeln über den Anscheinsbeweis sind mangels eines feststehenden Lebenssachverhalts unanwendbar, wenn mehrere Möglichkeiten für den Schadenseintritt gegeben oder verschiedene typische Geschehensabläufe denkbar sind, bei denen nicht in jedem Fall dem Erblasser eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann (Abgrenzung zu BGH, NJW 2004, 3623 f).

5. Auf einen Rechnungsabschluss kann sich die Bank nicht berufen, wenn der Nachlasspfleger diesem unverzüglich nach Kenntniserlangung widerspricht und die Bank nicht darlegen kann, dass die unbekannten Erben anderweitig bereits vorher Kenntnis erlangt hatten.

Landgericht Berlin, Urteil vom 11. April 2007 – 10 O 238/06

Sachverhalt

Die Kläger verlangen als Erben des Erblassers die Auszahlung von Beträgen, die die Beklagten nach Abhebungen am Geldautomaten den bei ihnen geführten Girokonten des Erblassers belastet haben.

Der Erblasser war Inhaber von EC Karten für beide Girokonten und einer Master Card für das Konto bei der Beklagten zu 1. Für die Master Card war ein Verfügungsrahmen von 4.000,– EUR vermerkt. Alle Karten konnten mit den zugehörigen PIN für Abhebungen an Geldautomaten verwendet werden.

Die Vertragsbedingungen der Beklagten zu 1. für die Master Card sehen vor, dass der Kunde bei grob schuldhafter Verletzung seiner Sorgfaltspflichten den daraus resultierenden Schaden zu tragen habe. Nach den EC-Karten-Bedingungen beider Beklagten darf der Karteninhaber die PIN nicht auf der Karte vermerken oder zusammen mit ihr aufbewahren. Er muss bei unbefugter Kartennutzung den Schaden abgestuft nach dem Maß seines Verschuldens, bei grober Fahrlässigkeit in voller Höhe tragen. Auf die Einzelheiten der Regelungen wird Bezug genommen.

Am 10.12.2004 um 14.40 Uhr starb der Erblasser in einem Krankenhaus auf den Philippinen. Ab dem 11.12.2004 wurden die drei Karten mehrfach an den Geldautomaten unter Verwendung der jeweiligen PIN eingesetzt. Die erste Verfügung wurde um 3.20 Uhr vorgenommen, wobei nicht geklärt ist, ob es sich um Ortszeit oder mitteleuropäische Zeit handelt. Die Beklagten belasteten diese Beträge nebst Gebühren dem jeweiligen Girokonto, und zwar die Beklagte zu 1. für die Master Card 4.374,55 EUR und für die EC-Karte 9.242,54 EUR, die Beklagte zu 2. 5.521,72 EUR.

Die Kläger behaupten, unbekannte Dritte hätten sich unbefugt nach dem Tod in den Besitz der Karten gesetzt und das Geld abgehoben. Sie meinen, der Beklagten zu 1. falle wegen der Überschreitung des Verfügungsrahmens bei der Master Card ein Mitverschulden zur Last.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet. Die Kläger können von den Beklagten gem. den §§ 667, 675 Abs. 1 BGB Auszahlung der in den Saldo eingestellten Beträge und gemäß den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB die beantragten Zinsen ab Rechtshängigkeit verlangen. Die Beklagten waren nicht berechtigt, die Girokonten wegen der Barabhebungen zu belasten. Ihnen stand weder ein Aufwendungsersatzanspruch gegen die Kläger aus den §§ 670, 675 BGB noch ein Schadensersatzanspruch gegen den Erblasser, für den die Kläger als Erben einzustehen haben – aus § 280 Abs. 1 BGB – zu. Ein vertraglicher Aufwendungsersatz aus den §§ 670, 675 BGB ist begründet, wenn die Abhebungen von einer Person vorgenommen wurden, der der Erblasser die PIN mitgeteilt hatte und die er über den Tod hinaus für Kontoabhebungen bevollmächtigt hatte. Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Erblasser dem Dritten pflichtwidrig Zugriff auf EC-Karte und PIN ermöglicht hat. Es lässt sich hier nicht feststellen, dass einer der beiden Sachverhalte gegeben ist.

1. Eine Pflichtverletzung des Erblassers liegt nicht darin, dass er die Bankkarten – unstreitig – auf die Philippinen mitgenommen hat. Ebenso wenig ist es pflichtwidrig, wenn der Erblasser auch die Geheimzahl mit sich geführt hat. Dabei kann zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass der Erblasser die PIN – wenn er sie dem Dritten nicht freiwillig mitgeteilt hat – irgendwo notiert und bei seiner Habe verwahrt hatte. Das bloße Aufbewahren der PIN ist nicht pflichtwidrig, wenn es sorgfältig geschieht. Da Geheimzahlen in verschied...

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