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Die Kernfrage lautet: Hat der Erbe, der bedürftig ist oder nachlassbedingte Steuern zahlen muss, einen Anspruch auf Erlösauskehr gegen den Dauervollstrecker? Oder kann dieser diesen "Anspruch" rechts- und regresssicher ablehnen mit der Begründung, dass diese zweckgebundene Zahlung aus dem Nachlass dennoch dessen ordnungsgemäßer Verwaltung widerspräche, § 2216 Abs. 1 BGB? In Teil 1 unserer Überlegungen haben wir gesehen, dass die Beschlüsse des BGH vom 24.7.2019 und des OLG Frankfurt/Main vom 15.2.2016 den Testamentsvollstrecker nur auf den ersten Blick entmachten. Beide Beschlüsse erkennen zwar einen derartigen "Anspruch" an, stehen aber auf dem Boden der ständigen BGH-Rechtsprechung (Urteile vom 14.5.1986 und 4.11.1987), die die Entscheidungshoheit des Testamentsvollstreckers selbst dann annimmt, wenn ein Recht des Erben auf Erlösauskehr gegeben ist. Andererseits verweisen beide Beschlüsse für diesen "Anspruch" auf Schrifttum und Reichsgericht – und hier scheint (jedenfalls teilweise) vertreten zu werden, dass der Testamentsvollstrecker seine Entscheidungshoheit in den beiden genannten Fällen verliert. Diese Verweise müssten also die Begründung dafür leisten, ob und wie der der Erbe tatsächlich einen Anspruch im strengen Sinne hat. Um diese Fragen geht es nun in Teil 2 unserer Überlegungen.

I. Ein Zwischenfazit und die Fragen an die bisherigen Begründungsversuche

BGH und OLG Frankfurt folgen der ständigen BGH-Rechtsprechung, wonach der Testamentsvollstrecker selbst dann die Entscheidungshoheit bei der Thesausierungsfrage hat, sollte der Erbe ein Recht zur Erlösherausgabe haben. Als Begründung für dieses Recht wird auf Schrifttum und Rechtsprechung des RG verwiesen. Beide Begründungswege müssten zunächst mit Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes in Einklang stehen. Sodann werden wir die bisherigen Begründungsversuche vor dem Hintergrund folgender Fragen untersuchen: Kann ein Recht des Erben "ohne wenn und aber" rechtssicher begründet werden, d.h. tragen diese Begründungen den Verlust der Entscheidungshoheit beim Testamentsvollstrecker? Oder bleibt die Entscheidungshoheit beim Testamentsvollstrecker, wenn auch mit ihn einschränkenden Vorgaben für die Ermessensausübung, so wie es den BGH-Urteilen vom 14.5.1986 und 4.11.1987 entspricht? Können die bisherigen Begründungen zumindest dies leisten? Oder müssen neue Begründungswege gesucht werden, damit der Testamentsvollstrecker den Nachlass rechts- und haftungssicher verwalten kann? Wir wollen uns daher zunächst nochmals die gesetzliche Systematik genau vor Augen führen – und die Bemühungen, diese als ungerecht empfundene Entscheidung des Gesetzes zu korrigieren.

II. Die gesetzliche Systematik und der Zweck der Testamentsvollstreckung – ein gesetzliches Gerechtigkeitsproblem mit Korrekturbedarf?

Schon früh empfand man Situation des bedürftigen Erben als ungerecht, als "Bittsteller" zum Testamentsvollstrecker gehen zu müssen. Bereits 1907 war Karl Holtz der Meinung, es sei untragbar, dass der Erbe bei Bedürftigkeit die Erlöse nicht verlangen könne. Dies sei "unhaltbar", weil bei Bedürftigkeit "soweit nicht besondere Bedenken entgegenstehen, als regelmäßiger Wille des Erblassers vorauszusetzen (ist), daß dem Erben zum mindesten die Einkünfte nach Maßgabe seiner Bedürftigkeit zukommen. Im Übrigen sind die hier vom Erblasser mit der TVung verfolgten weiteren Zwecke von entscheidender Bedeutung."[1] Gleichwohl erkannte bereits Karl Holtz in seiner Tübinger Dissertation ebenso: die Dauervollstreckung nach § 2209 BGB "trägt ihren Zweck in sich selbst: sie ist um ihrer selbst willen vom Erblasser angeordnet."[2] Holtz erkannte diesen Selbstzweck in dem "Hauptziel", den Nachlass wirtschaftlich zu verwerten "unter Ausschluss des Erben", konkret in der "Nutzbarmachung des Vermögens und Erzielung von Erträgnissen."[3] Er berief sich zutreffend den historischen Gesetzgeber, der genau dies wollte.[4] Dies ist auch heute noch der Grundsatz der einhelligen Meinung.[5] Da vor allem J. Mayer diese Bedenken aufgriff und diskutierte, lohnt sich nochmals ein genauerer Blick auf den Sinn und Zweck des Gesetzes. Dies wird unseren Fall und seine rechtliche Bewertung noch stärker konturieren.

Bei den Bestrebungen, dem Erben einen leichteren Zugang zu den Nachlasserträgen zu verschaffen, geht es im Kern darum, eine für den Erben als misslich empfundene Rechtslage zumindest abzufedern. Denn die Testamentsvollstreckung sorgt mit dem Verdrängungsprinzip ab dem Erbfall dafür, dass die Rechtsinhaberschaft des Erben kompetenzlos und ohne Verfügungsbefugnis ist, § 2211 Abs. 1 BGB.[6] Diese rechtliche und wirtschaftliche Entmündigung des Erben ist de lege lata nicht einfach zu rechtfertigen. Wie kann die Entscheidungshoheit des Testamentsvollstreckers über den Nachlass und seine unabhängige Verwaltungsbefugnis den wohlverstandenen Interessen des Erben gerecht oder mit ihnen zumindest halbwegs in Einklang gebracht werden? Denn der Erbe kann und ist durch die Trennung von Rechtsinhaberschaft und Verwaltungsrecht sowie dem Fehlen der gerichtlichen Ex-Ante-Kontrolle und –aufsicht über das Verwaltungshandeln des Testamentsvollstreckers[7] diesem (jedenfalls zunächst) auf Gedeih und Verderb ausgeliefert,...

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