Einführung

Eltern behinderter Kinder versuchen häufig durch Testamentsgestaltungen, die als sogenanntes Behindertentestament bezeichnet werden,[1] zu erreichen, dass dem behinderten Kind eine Mindestbeteiligung am Nachlass verbleibt, ohne dass diese Nachlassbeteiligung unmittelbar der Verwertung durch den Sozialhilfeträger zum Opfer fällt. Ziel ist es, dem behinderten Kind dauerhaft einen Lebensstandard zu sichern, der über dem Niveau der Sozialhilfe liegt.

[1] Allgemein zum Behindertentestament vgl. Tersteegen, in Beck’sches Formularbuch Erbrecht, 2. Auflage, F I 1 – 6; G. Müller, in Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2011, § 10 Rn 266 ff; Würzburger Notarhandbuch/G. Müller, 3. Auflage 2012, 4. Teil Kapitel 1 Rn 386 ff.

I. Einleitung

Dass eine derartige Gestaltung weder gegenüber dem behinderten Kind noch gegenüber dem Sozialhilfeträger als sittenwidrig anzusehen ist, hat der BGH in verschiedenen Entscheidungen bestätigt.[2] Eine erneute Bestätigung hat diese Auffassung auch in der beachtenswerten Entscheidung vom 19.1.2011[3] gefunden. Der BGH führt im Rahmen eines obiter dictum aus, dass es sich um eine gefestigte Senatsrechtsrechtsprechung handele, die dem Gedanken Rechnung trage, dass das Behindertentestament Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus sei. In dieser Entscheidung hebt der BGH insbesondere auch hervor, dass seit der ersten Entscheidung des Senats über zwanzig Jahre vergangen sind und der Gesetzgeber trotzdem keine Anstalten unternommen hat, die Rechtslage dahingehend zu ändern, dass der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Vermögen des Behinderten ermöglicht wird.

In zivilrechtlicher Hinsicht dürfte der Streit um die Sittenwidrigkeit des Behindertentestaments also zumindest vorläufig beendet sein. Leider fehlte es bisher an einer Bestätigung dieser Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit durch die Sozialgerichte. Dieser Mangel ist nun durch zwei sozialgerichtliche Entscheidungen behoben. Beide Entscheidungen sind insofern auch für den rechtsgestaltend tätigen Juristen von erheblicher Bedeutung.

[2] BGH, NJW 1990, 2055,2056; BGH, DNotZ 1994, 383.
[3] BGH, NJW 2011, 1586 = DNotZ 2011, 381 mit Anmerkung Ivo = MitBayNot 2011, 138 mit Anmerkung Spall = BWNotZ 2011, 158 mit Anmerkung Kleensang.

II. Keine Sittenwidrigkeit der Gestaltung eines Behindertentestaments

1. Entwicklung in der Rechtsprechung

Bereits das LSG Baden-Württemberg hatte in der Entscheidung vom 9.10.2007[4] Gelegenheit zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es sich als sittenwidrig darstellt, wenn der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf die Nachlasssubstanz dadurch vermieden wird, dass Dauertestamentsvollstreckung kombiniert mit einer Verwaltungsanweisung nach § 2216 BGB angeordnet wird. Das LSG Baden-Württemberg verneinte dies in der dortigen Entscheidung. Der Senat schloss sich insofern der Argumentation des BGH aus der Entscheidung vom 21.3.1990[5] bzw. vom 20.10.1993[6] an und führte aus, dass eine derartige Konstruktion weder gegenüber dem Erben noch gegenüber dem Sozialhilfeträger sittenwidrig sei. Zwar ging es in der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg nicht um ein typisches Behindertentestament, sondern um ein Testament, in dem durch die Anordnung von Dauertestamentsvollstreckung kombiniert mit einer Verwaltungsanweisung nach § 2216 BGB sichergestellt werden sollte, dass der Sozialhilfeträger nicht auf die Nachlassbeteiligung des alkoholkranken Sohnes der Erblasserin zugreift. Gleichwohl hatte diese Entscheidung auch Bedeutung für die Frage der Sittenwidrigkeit eines Behindertentestaments. Insofern ließ sich argumentieren, dass, wenn der Senat schon beim Testament zum Schutz eines alkoholkranken Erben die Sittenwidrigkeit verneint, er dies erst recht bei einem Testament zugunsten eines behinderten Erben tun müsse.

2. Entscheidung des LSG Hamburg

Diese Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg hat nunmehr das Landesozialgericht Hamburg[7] für ein Behindertentestament fortgeführt. Im dortigen Fall hatte der Erblasser zur Absicherung seines behinderten Kindes ein Testament errichtet, das übliche Regelungen eines Behindertentestaments enthielt. Das behinderte Kind war lediglich zum Vorerben eingesetzt und ferner war Dauertestamentsvollstreckung mit einer üblichen Verwaltungsanweisung angeordnet. Gleichwohl hob der Sozialhilfeträger, nachdem er Kenntnis vom Erbfall erlangt hatte, den Bescheid, mit dem dem behinderten Kind Leistungen bewilligt worden waren, auf und verwies das behinderte Kind darauf, das ererbte Vermögen zu verwerten. Den Widerspruch des behinderten Kindes wies der Sozialhilfeträger mit dem Argument zurück, das Testament sei wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten offensichtlich nichtig.

Dieser Auffassung des Sozialhilfeträgers ist der Senat mit erfreulich deutlichen und klaren Ausführungen entgegengetreten: Das Gericht führt zunächst aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[8] die Konstruktion eines derartigen Behindertentestaments nicht sittenwidrig sei. Zwar sei es zutreffend, dass das Subsidiarit...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge