Einführung

Die Entscheidungen wurden in namhaften Zeitschriften jeweils nur mit einer ablehnenden Urteilsanmerkung veröffentlicht.[1] Sollte dies allein nicht Grund sein, die Entscheidungen zu überdenken? Stutzig macht jetzt ein Beitrag von Rudy, ZErb 2010, 351. Dort heißt es, der Autor sei "Staatsanwalt in Bamberg, zurzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am BGH in Karlsruhe". Der Aufsatz enthält weitere Erwägungen zu den Entscheidungen des BGH. Sollte es sich dabei etwa um die berüchtigten ungeschriebenen Urteilsgründe handeln? Auch diese Erwägungen führen jedoch nicht zu einer überzeugenden Begründung der Entscheidungen.

Am 28.4.2010 hat der BGH entschieden. In zwei Entscheidungen, die nahezu wortgleich sind (IV ZR 73/08 und IV ZR 230/08), beschäftigte sich der BGH mit der Frage, wonach sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch bemisst, wenn der Erblasser Inhaber einer Lebensversicherung war, für die ein widerrufliches Bezugsrecht zugunsten eines Dritten bestand. Eine Welle der Euphorie verbreitete die Leitsätze der Entscheidungen. Vielfach wurde gelobt, dass der BGH die Entscheidungen umfangreich und kompliziert begründet hat. Hat die Begründung eigentlich jemand gelesen … und … verstanden?

[1] Progl, ZErb 2010, 194; Wall, ZEV 2010, 311; Walker, FamRZ 2010, 1249.

1. Ausgangslage

In Pflichtteilsfällen spielen Lebensversicherungen häufig eine Rolle. Für den Mandanten ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, wieso die Lebensversicherung zu einem Pflichtteilsergänzungsanspruch führt. Wird bei einer Lebensversicherung ein Bezugsberechtigter benannt, so liegt ein Dreipersonenverhältnis vor. Dreipersonenverhältnisse lassen sich am besten mit einer Skizze erklären. In der linken oberen Ecke steht das Wort "Versicherungsunternehmen", in der rechten oberen Ecke stehen die Wörter "Versicherungsnehmer/Erblasser". Zum Verständnis wird der Erblasser durchgestrichen und das Wort "Erben" hinzugesetzt. Denn die Erben sind an die Stelle des Erblassers getreten. In der unteren rechten Ecke steht das Wort "Bezugsberechtigter". Die Beziehungen zwischen den drei Beteiligten lassen sich durch drei Linien verdeutlichen. Die Linie vom Versicherungsunternehmen zum Erblasser stellt das Deckungsverhältnis dar. Hier zahlt der Erblasser seine Versicherungsprämien. Das Verhältnis vom Versicherungsunternehmen zum Bezugsberechtigten lässt sich gut durch einen Pfeil darstellen. Hier fließt das Geld. Der Bezugsberechtigte erhält einen eigenen Anspruch gegen das Versicherungsunternehmen auf Auszahlung der Versicherungssumme. Es verbleibt eine Linie vom Erblasser zum Bezugsberechtigten. Das ist das Valutaverhältnis. Es liegt eine Schenkung zwischen dem Erblasser bzw. den Erben und dem Bezugsberechtigten vor. Diese Schenkung löst Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.

2. Verschenkter Gegenstand

Eine Schenkung definiert sich nach § 516 I BGB durch eine unentgeltliche Zuwendung des Schenkers an den Beschenkten. Diese Zuwendung bezeichnet der BGH scheinbar als den Gegenstand der Schenkung. Der Gegenstand der Schenkung ist nach der Ansicht des BGH der Anspruch auf die Versicherungssumme.[2] Andernfalls könnten die Erben vom Bezugsberechtigten den Teil der Versicherungssumme zurückfordern, der die Versicherungsprämien oder den Rückkaufswert übersteigt.[3] Dass der Schenkungsgegenstand der Anspruch auf die Versicherungssumme ist, würde wohl auch jedem Mandanten einleuchten. Ohne Bezugsrecht fällt der Anspruch auf die Versicherungssumme in den Nachlass, mit Bezugsrecht fällt der Anspruch an den Bezugsberechtigten.

In § 2325 I BGB tauchen hingegen nur die Begriffe "Schenkung" und "verschenkter Gegenstand" auf. Der BGH wirft die Frage auf, was mit dem "verschenkten Gegenstand" gemeint sein könnte. Ein Mandant hat auf diese Frage eine klare Antwort: Der verschenkte Gegenstand, die Zuwendung und der Gegenstand der Schenkung sind alles dasselbe.

Nicht so der BGH: "Daraus folgt jedoch nicht, dass dieser Schenkungsgegenstand ohne weiteres auch bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zugrunde zu legen ist. Dies gilt insbesondere für mittelbare Zuwendungen, bei denen Entreicherungsgegenstand und Bereicherungsgegenstand nicht identisch sind. Diese Besonderheit des Rechtsgeschäfts im Valutaverhältnis zwingt vielmehr zu einer eigenständigen Entscheidung, ob es im Rahmen der Rechtsfolge des § 2325 Abs. 1 BGB auf den Entreicherungsgegenstand oder den Bereicherungsgegenstand ankommen soll."[4]

Der BGH spaltet die Schenkung also in einen Entreicherungsgegenstand und einen Bereicherungsgegenstand auf. Das ist nicht schlimm, wenn beide Gegenstände identisch sind. Der Bereicherungsgegenstand ist der Anspruch des Bezugsberechtigten auf die Versicherungssumme. Hier liegt eine mittelbare Schenkung vor. Nach Ansicht des BGH überträgt der Erblasser nicht etwa seine Ansprüche gegen das Versicherungsunternehmen auf den Bezugsberechtigten, sondern er sorgt mit einer vertraglichen Vereinbarung im Deckungsverhältnis[5] dafür, dass der Bezugsberechtigte originär einen eigenen Anspruch gegen das Versicherungsunternehmen erwirbt.[6] U...

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