Die Grundkonstellation der BGH-Urteile vom 14.5.1986 und 4.11.1987 und ihre rechtliche Beurteilung wurden von BGH und OLG Frankfurt nun auch ausdrücklich auf den Fall angewandt, bei dem der Erbe Nachlasserträge vom Testamentsvollstrecker für besondere Belange verlangt. Die Rechtsauffassung des BGH und ihre Folgen wurden durch den Verweis auf diese beiden Urteile auf unsere Rechtsfrage übertragen. Beide Beschlüsse haben dies getan. Daher sind auch die materiell-rechtlichen Grundlagen der Bezugs-Urteile, die den BGH-Urteilen innewohnende gesetzlich-systematische Begründung, auf unseren Fall anzuwenden. Nur dann können wir im Folgenden auch die Tragweite für die beiden Ausnahmefälle, Unterhalt und nachlassbedingte Steuern des Erben, rechtlich zutreffend bestimmen.

In den Urteilen vom 14.5.1986 und 4.11.1987 war der Anspruch des Vorerben rechtlich begründet durch Gesetz und Testament und wurde dennoch der Ermessensentscheidung des Testamentsvollstreckers nach § 2216 Abs. 1 BGB unterworfen, s.o. Der gesetzlich-systematische Grund, dass § 2216 Abs. 1 BGB überhaupt zur Anwendung kommt, ist die Tatsache, dass keine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB vom Erblasser verfügt wurde. Es liegt in beiden Fallkonstellationen an der Testierfreiheit des Erblassers, dass der Testamentsvollstrecker gemäß § 2216 Abs. 1 BGB die Entscheidungsbefugnis über die Thesaurierungsfrage hat, obwohl in beiden Konstellationen ein Anspruch des Erben auf Erlösauskehr grundsätzlich angenommen wird. Dies ist in den Beschlüssen des BGH und des OLG Frankfurt genauso der Fall wie bei den Urteilen des BGH vom 14.5.1986 und 4.11.1987.[42] Der BGH verweist in seinem Beschl. v. 24.7.2019 ausdrücklich auf diese Systematik (Rn 16; das OLG formuliert hier kürzer, aber in der Sache identisch) und somit darauf, dass die Rechtslage ihren Grund in der Testierfreiheit des Erblassers hat.

Was der Erbe daher auch in unserem Fall gegenüber dem Testamentsvollstrecker nach § 2216 Abs. 1 BGB verlangen und ggf. mittels Leistungsklage einklagen kann, ist die Beachtung der Grundsätze des § 2216 Abs. 1 BGB und die dabei zu beachtende, rechtmäßige Ermessensausübung. Dies ist ständige Rechtsprechung.[43] Würde man die beiden Beschlüsse dagegen nur wörtlich verstehen, wären sie mit BGHZ 25, 275 unvereinbar, dem Grundsatz des objektiven Nachlassinteresses als oberste und letztlich stets entscheidende Richtschnur. Und gemessen an den o.g. Grundsätzen der Urteile vom 14.5.1986 und 4.11.1987 läge der Widerspruch zusätzlich auf der Hand.

Die Übertragung der materiell-rechtlichen Grundsätze der Urteile vom 14.5.1986 und 4.11.1987 auf unseren Fall ergibt:

In den Konstellationen, in denen der Erbe bedürftig ist oder nachlassbedingte Steuern zahlen muss, gehen die beiden Beschlüsse von einem grundsätzlich möglichen Recht/Anspruch des Erben auf Erlösherausgabe aus. BGH und OLG Frankfurt haben den "Anspruch" des Erben ausdrücklich anerkannt. Die Beschlüsse setzen einen derartigen "Anspruch" voraus, begründen ihn aber nicht, sondern verweisen hier auf Schrifttum und Rechtsprechung des RG.
Obwohl in den Bezugs-Urteilen vom 14.5.1986 und 4.11.1987 der Vorerbe ein Recht auf Erlösherausgabe hat, belässt der BGH diese Entscheidung beim Testamentsvollstrecker: der BGH verlangt vom Testamentsvollstrecker ausdrücklich, den Ausgleich zwischen den Rechtspositionen von Vor- und Nacherben vorzunehmen. Daher verlangen die Beschlüsse vom Testamentsvollstrecker auch in unseren Fällen, die gegenläufigen Interessen zu einem Ausgleich zu bringen.
Aus der Grundsatzentscheidung BGHZ 25, 275, 279/280 ergibt sich indes eindeutig, dass, sollte dieser Ausgleich scheitern und nur die Wahl bleiben zwischen Thesaurierung oder Erlösauskehr, der Testamentsvollstrecker sich für die Thesaurierung im objektiven Nachlassinteresse und gegen den Willen des Erben entscheiden muss.
Daher ist auch in unseren beiden Fällen der grundsätzlich mögliche Anspruch auf zweckgebundene Herausgabe der Nutzungen Teil der Ermessensentscheidung des Testamentsvollstreckers; dieser Abwägungsvorgang nach § 2216 Abs. 1 BGB kann am Ende zu einem Anspruch des Erben im strengen Sinne führen – muss es aber nicht.
Der Testamentsvollstrecker muss seine Entscheidung rechtlich begründen können. Wir müssen uns daher, anders als die beiden Beschlüsse des BGH und des OLG Frankfurt, die darauf verzichten konnten, fragen, ob die Verweise in den Beschlüssen insoweit tragfähig sind. Nur dann kann der Testamentsvollstrecker rechtssicher entscheiden.
Die rechtliche Begründung für diesen "Anspruch" ergibt sich hier im Gegensatz zu den BGH-Urteilen vom 14.5.1986 und 4.11.1987 nicht aus dem Gesetz, sondern wird von Gerichten stillschweigend als gegeben unterstellt. Die Verweise der beiden Gerichte, vor allem auf Staudinger/Reimann, lassen zwei Begründungswege erkennen: den mutmaßlichen Erblasserwillen und Urteile des RG der Jahre 1918 und 1920. Aber erst eine sichere rechtliche Begründung verschafft dem Testamentsvollstrecker die Sicherheit, die er fü...

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