Die eigentliche Veränderung im Elternunterhalt hat im Sozialhilferecht (SGB XII) und im neuen Eingliederungshilferecht (SGB IX) stattgefunden, und zwar im Wesentlichen beim zu berücksichtigenden Einkommen der Eltern aus Elternunterhalt und beim Rückgriff des Sozialhilfeträgers hierauf.

Das lässt sich am besten am Bild des sozialhilferechtlichen Regress-Dreiecks nachvollziehen.

Auf der Ebene des Leistungsrechts des SGB XII müssen Eltern ihr eigenes Einkommen (§§ 82 ff., 92 SGB XII) und Vermögen (§ 90 SGB XII) vorrangig einsetzen, bevor sie einen Anspruch auf Sozialhilfe haben (§§ 2, 19 1– 3 SGB XII). Nach § 82 SGB XII ist Einkommen jeder Zufluss in Geld oder in Geldeswert während des Bedarfszeitraums, unabhängig von seinem Rechtsgrund. Es wird im Sozialhilferecht jedes Einkommen zugerechnet, das im Bedarfszeitraum zufließt, es sei denn, es wäre "normativ" – also durch einen ausdrücklich gesetzlich geregelten Schontatbestand – geschützt.

Ein Elternunterhaltsanspruch (§§ 1601 ff. BGB) ist grundsätzlich Einkommen im Sinne des § 82 SGB XII und war mit einer Ausnahme bisher immer von Eltern vorrangig einzusetzen. Damit bedürftige Eltern den Bettelgang zu ihren Kindern aber nicht selbst antreten mussten, hatte der Gesetzgeber ihnen ermöglicht, unmittelbar Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen und die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs dem Sozialhilfeträger im Wege des sog. Sozialhilferegresses zu überlassen.[2] Deshalb ging der Elternunterhaltsanspruch bisher regelhaft auf den Sozialhilfeträger im Wege einer cessio legis nach § 94 SGB XII über.

Ein "normativer" Schutz, also eine gesetzlich geregelte Ausnahme, galt bis zum 31.12.2020 für bedürftige Eltern, die Grundsicherung[3] nach §§ 41 ff. SGB XII bezogen.[4] Für sie galt, dass ein Elternunterhaltsanspruch als Einkommen im Sinne des Sozialhilferechts grundsätzlich unberücksichtigt blieb, soweit das Gesamteinkommen des unterhaltspflichtigen Kindes i.S.v. § 16 SGB IV nicht mehr als 100.000 EUR p.a. betrug. Damit korrespondierte bisher § 94 Abs. 1 S. 3 Halbs. 2 SGB XII, der regelte, dass ein Rückgriff des Sozialhilfeträgers wegen eines Elternunterhaltsanspruchs unterblieb, wenn von dem bedürftigen Elternteil Grundsicherung im Alter oder bei voller Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII) bezogen wurde. Nur bei hohem Einkommen der Kinder sollten diese nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nicht vom Unterhaltsrückgriff befreit werden.[5]

Diese Begünstigung galt bisher aber ausnahmslos nur beim Bezug von Grundsicherung, nicht für die Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 27 SGB XII), nicht für Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) und nicht für Eingliederungshilfe (bis zum 31.12.2019 nach §§ 53 ff. SGB XII), und bei der Heimunterbringung selbst dann nicht, wenn man ermitteln konnte, welcher Grundsicherungsanteil in den Kosten einer Heimunterbringung steckte.

Seit dem 1.1.2020 ist nun der Anwendungsbereich der 100.000 EUR-Grenze auf alle SGB XII-Leistungen ausgedehnt worden. Nach dem Vorbild des § 43 Abs. 5 SGB XII a.F. wurde für alle Leistungen, die nach dem SGB XII erbracht werden, die die Nichtberücksichtigung des Elternunterhaltsanspruchs bei der sozialhilferechtlichen Einkommensermittlung (§ 82 SGB XII) der Eltern in § 94 SGB XII eingefügt. Für sämtliche Leistungen nach dem SGB XII wird Elternunterhalt als sozialhilferechtliches Einkommen also nur noch dann berücksichtigt, wenn das unterhaltspflichtige Kind mehr als 100.000 EUR Gesamteinkommen im Sinne des § 16 SGB IV erzielt. Ein gesetzlicher Anspruchsübergang (§ 94 SGB XII) findet für Elternunterhaltsansprüche, die aus einem Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes bis zu einem Gesamteinkommen von 100.000 EUR errechnet wurden, generell nicht mehr statt.

Auch auf das Einkommen eines Schwiegerkindes als Bezugsgröße für die Inanspruchnahme des unterhaltspflichtigen Kindes kommt es bis zur 100.000-Grenze nicht an.

 
Tabelle: Synopse SGB XII

Bis 31.12.2019 – § 43 V SGB XII

Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100.000 EUR (Jahreseinkommensgrenze). Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet. Wird diese Vermutung widerlegt, besteht keine Leistungsberechtigung nach diesem Kapitel. Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 2 kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der in Satz 1 genannten Einkommensgrenze vor, sind die Kinder oder Eltern der Leistungsberechtigten gegenüber dem jeweils für die Ausführung des Gesetzes nach diesem Kapitel zuständigen Träger verpflichtet, über ihre Einkommensverhältnisse Auskunft zu ge...

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