I.

Der Kläger macht aus übergeleitetem Recht im Wege der Stufenklage – hier auf der Auskunftsstufe – Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem am 24.2.2017 verstorbenen Erblasser K A geltend.

Die Beklagte (geb. 0.0.1934) war mit dem Erblasser verheiratet. Die Eheleute hatten zwei Kinder, L und B A. Der am 0.0.1967 geborene B A ist aufgrund eines cerebralen Geburtsschadens mit verminderter Sauerstoffversorgung seit seiner Geburt in seinen kognitiven und amnestischen Fähigkeiten eingeschränkt. Er besuchte die Sonderschule, erwarb einen Hauptschulabschluss und arbeitet heute in einer Behindertenwerkstatt (vgl. Gutachten vom 24.11.2017, AG Detmold – 23’XVII 69/18, Bl. 6, 7).

Die Eheleute A errichteten am 29.8.1988 ein gemeinschaftliches Testament (Bl. 10 ff. d. A.), in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und den Sohn L zum Schlusserben einsetzten. Nach dem Tod des Erblassers nahm die Beklagte die Erbschaft an.

Seit dem Tod ihres Ehemanns kann die Beklagte den bis zu diesem Zeitpunkt bei ihr wohnenden Sohn B nicht mehr allein versorgen. Deshalb regte sie am 28.1.2018 die Einrichtung einer Betreuung an. Der Sohn B A zog am 3.2.2018 in den stationären Wohnbereich des C-Hauses in J. Seit dem 1.2.2018 erhält er vom Kläger Sozialhilfe in Form von stationärer Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt i.H.v. zuletzt 1.371,66 EUR monatlich. Am 23.4.2018 wurde für ihn eine gesetzliche Betreuung für die Bereiche Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten angeordnet (AG Detmold 23 XVII 69/18, Bl. 35). Im Frühjahr/Sommer 2018 zog die Beklagte in eine ambulant betreute Wohneinrichtung nach Z. Ab dem 5.11.2020 wurde ihr der Pflegegrad 3 bewilligt; eine stationäre Pflege ist geplant.

Mit notariellem Vertrag vom 3.7.2018 verkaufte die Beklagte das zum Nachlass gehörende Wohnhaus in X, Dstraße 00, zu einem Verkaufspreis von 235.000,00 EUR. Mit notariellem Vertrag vom 11.6.2019 erklärte B A gegenüber der Beklagten den Verzicht auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Erblasser (Bl. 13 ff d.A.). Der Kläger leitete durch Bescheid vom 4.2.2020 Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche des Leistungsempfängers B A nach dem Erblasser auf sich über, §§ 141 SGB IX, 93 SGB XII. Dieser Bescheid ist inzwischen bestandskräftig.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.2.2020 forderte der Kläger von der Beklagten Auskunft über den Nachlass. Nach Fristablauf hat er mit Klageschrift vom 20.10.2020 die vorliegende Stufenklage zur Geltendmachung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen aus übergeleitetem Recht anhängig gemacht und auf erster Stufe Auskunft über den Bestand des Nachlasses begehrt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der am 11.6.2019 geschlossene Verzichtsvertrag sei sittenwidrig und damit unwirksam, § 138 BGB. Hilfsweise hat er sich darauf berufen, dass der Vertrag auch wegen Geschäftsunfähigkeit des B A gem. § 104 Nr. 1 BGB unwirksam sei.

Die Beklagte hat vorgetragen, B A sei unbeschränkt geschäftsfähig gewesen. Der Verzicht sei rechtswirksam mit ihm vereinbart worden, insbesondere sei der Verzicht nicht sittenwidrig.

Das Landgericht hat die Beklagte mit Teil-Urt. v. 26.2.2021 verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Nachlass sowie den Ergänzungsnachlass des Erblassers durch Vorlage eines schriftlichen Bestandsverzeichnisses zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch gem. § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB bestehe aus übergeleitetem Recht, §§ 141 SGB IX, 93 SGB XII. B A sei pflichtteilsberechtigt, § 2303 BGB. Der am 11.6.2019 geschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag sei kein Verzicht gem. § 2346 Abs. 2 BGB, sondern ein Erlassvertrag i.S.d. § 397 BGB. Auf diesen seien zwar die Wertungen der Rechtsprechung des BGH zu übertragen, wonach Pflichtteilsverzichtsverträge nicht generell sittenwidrig seien. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls sei die Kammer hier aber davon überzeugt, dass alleinige Motivation des Vertragsschlusses gewesen sei, den Zugriff des Klägers auf bereits entstandene, werthaltige Ansprüche des Leistungsempfängers zu verhindern, um so zulasten der Allgemeinheit die Bedürftigkeit des Leistungsbeziehers aufrecht zu erhalten. Aufgrund dessen sei der hier erklärte Verzicht sittenwidrig und der Vertrag damit nichtig, § 138 Abs. 1 BGB. Auf die weitere Frage, ob der Leistungsbezieher bei Beurkundung des Erlassvertrags geschäftsunfähig gewesen sei, komme es deshalb nicht an.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH, insbesondere des Urt. vom 19.1.2011 (AZ: IV ZR 7/10) hält sie das ergangene Urteil für fehlerhaft. Sie trägt vor, es sei unerheblich, ob der Pflichtteilsberechtigte vor oder nach dem Erbfall verzichte. Auch komme es nicht auf die Motivation der Beteiligten an. Selbst die Motivation, eine Überleitung von Pflichtteilsanspr...

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