Um die Möglichkeiten nachträglicher Einflussnahme beurteilen zu können, bedarf es zunächst eines Blicks auf die Voraussetzungen und den Umfang der Bindungswirkung letztwilliger Verfügungen. Wechselbezügliche Verfügungen von Todes wegen in gemeinschaftlichen Testamenten erzeugen nach § 2271 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB ebenso wie vertragsmäßige Verfügungen nach § 2289 Abs. 1 BGB eine Bindung der Erblasser und beschränken deren Testierfreiheit. Derartige Verfügungen von Todes wegen können, soweit diese Bindung reicht, nicht durch eine spätere Verfügung widerrufen bzw. aufgehoben werden.

§ 2289 BGB setzt für die Unwirksamkeit späterer Verfügungen von Todes wegen tatbestandlich voraus, dass diese Verfügung "das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde." Für gemeinschaftliche Testamente scheint es in Anbetracht des Wortlauts von § 2271 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB und § 2258 BGB auf den ersten Blick ausreichend, wenn die spätere Verfügung von Todes wegen zu der früheren in "Widerspruch" steht. Allerdings ist hierzu nach allgemeiner Auffassung analog § 2289 Abs. 2 S. 1 BGB[11] zusätzlich noch die Beeinträchtigung desjenigen erforderlich, der durch die der Bindungswirkung unterliegende Verfügung begünstigt wird (also der Erbe bzw. Vermächtnisnehmer); ein bloßer sachlicher Widerspruch der Verfügungen ohne Beeinträchtigung des durch die frühere Verfügung Begünstigten genügt insoweit nicht.[12] Insbesondere führen daher neutrale oder begünstigende Abweichungen von früheren Verfügungen von Todes wegen nicht zur Unwirksamkeit der späteren Verfügung.[13]

Zum hier konkret zu behandelnden Problemkreis wird in der Kommentarliteratur in der Regel u.a. das Beispiel einer nachträglichen Anordnung eines Vermächtnisses als Beeinträchtigung der bindenden Schlusserbeinsetzung genannt.[14] Allerdings wird als Gegenbeispiel auch die Anordnung eines Untervermächtnisses herangezogen, die lediglich den Vermächtnisnehmer, nicht aber den Erben beeinträchtigt.[15] Es wird sich im Laufe dieser Untersuchung zeigen, dass diese Aussagen jedenfalls in dieser Pauschalität nicht zutreffend sind.

[11] OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1995, 265, 266.
[12] Insgesamt ist festzuhalten, dass sich trotz der Unterschiede im Wortlaut der gesetzlichen Regelung Voraussetzungen und Wirkungen der Bindung durch letztwillige Verfügungen weitgehend entsprechen; es ergibt sich kein wesentlicher Unterschied daraus, ob eine letztwillige Verfügung wechselbezüglich ist oder vertragsmäßig errichtet wurde. Vgl. Burandt/Rojahn/Braun, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, BGB § 2271 Rn 37; diff. R. Kössinger/Zintl, in: Nieder/Kössinger, Handbuch der Testamentsgestaltung, § 11 Rn 3.
[13] BGH NJW 1959, 1730, 1731; Burandt/Rojahn/Braun, Erbrecht, § 2271 Rn 37.
[14] Beispielsweise Grüneberg/Weidlich, 81. Aufl. 2022, 2271 Rn 14; Kössinger/Zintl, in: Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 11 Rn 38; Litzenburger, in: BeckOK BGB, § 2271 Rn 28; J. Mayer, in: Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 6. Aufl. 2015, § 2271 Rn 37 (mit der zutreffenden Einschränkung "im Allgemeinen"), undifferenziert aber J. Mayer/Röhl, Testament und Erbvertrag, 7. Aufl. 2020, § 2289 Rn 20, 37.
[15] J. Mayer, in: Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 6. Aufl. 2015, § 2289 Rn 33.

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