Bereits das erste Argument des OLG ist nicht zutreffend. Der Gesetzgeber hat sich ganz offenkundig über die Frage der Verjährung von Grundstücksvermächtnissen überhaupt keine Gedanken gemacht. Es kann den Gesetzesmaterialien (soweit ist dem OLG zuzustimmen) kein Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass § 196 BGB für Grundstücksvermächtnisse nicht gelten sollte. Es kann allerdings den Materialien auch kein Wille des Gesetzgebers entnommen werden, dass diese Vorschrift gelten sollte. Ganz offensichtlich hat der Gesetzgeber diese Frage überhaupt nicht gesehen bzw. übersehen. Ein ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, die Verjährung von Grundstücksvermächtnissen unter § 196 BGB fallen zu lassen, ist gerade nicht erkennbar. Das erste Argument des OLG trägt also nicht.

Ebenso trägt das zweite Argument nicht, wonach aufgrund der Gesetzessystematik kein Grund ersichtlich sei, weshalb die allgemeine Vorschrift des § 195 BGB die Spezialvorschrift des § 196 BGB verdränge. Das OLG übersieht die eigentliche Spezialvorschrift des § 199 Abs. 3 a BGB. Der Gesetzgeber hat also für sämtliche erbrechtlichen Ansprüche gewollt und gezielt die Verjährungsfrist im Zuge der Vereinheitlichung sämtlicher Verjährungsfristen angeglichen und verkürzt und eine (einzige) bewusste und gewollte Ausnahme ganz ausdrücklich nur für diejenigen Ansprüche zugelassen, die der Gesetzgeber eben in besagter Vorschrift des § 199 Abs. 3 a BGB aufführt. Für andere eben nicht. Die Anwendung des § 196 BGB scheidet schon deswegen aus.

Es ist im Übrigen in keiner Weise einzusehen, weshalb Pflichtteilsansprüche, die nach der Systematik und Grundausrichtung des deutschen Erbrechtes als Teil des Familienerbrechtes als wesentlich "legitimierter" anzusehen sind als bloße Vermächtnisansprüche, grundsätzlich in drei Jahren verjähren, während für Grundstücksvermächtnisse, die auch für völlig fremde Personen ausgesetzt werden können, 10 Jahre maßgeblich sein sollen. Pflichtteilsrechte sind nicht nur wirtschaftlich in aller Regel weit bedeutender, sie sind anders als Vermächtnisansprüche als Teil des Familienerbrechts über Art. 14 GG verfassungsrechtlich geschützt. Wenn aber weitaus bedeutendere Rechte aus dem Erbrecht, die zudem Verfassungsrang haben, in drei Jahren verjähren, dann ist es ersichtlich systemfremd anzunehmen, dass rechtlich weniger bedeutende Ansprüche ohne Verfassungsrang durch eine längere Verjährungsfrist einem stärkeren Schutz unterliegen, nur weil das Vermächtnis zufällig auf eine Immobilie gerichtet ist. Dies ist in keiner Weise nachvollziehbar, zumal der Gesetzgeber des BGB bei der Neuordnung des Verjährungsrechtes auch erbrechtliche Ansprüche durchaus die Differenzierung gesehen hat. Es gibt den Grundsatz der dreijährigen Verjährungsfrist und eben die Ausnahme des § 199 Abs. 3 a BGB, aber eben keine weiteren Ausnahmen. § 196 BGB gilt für erbrechtliche Ansprüche generell nicht.

Dass § 196 BGB nicht lex specialis sein kann, ergibt sich zudem aus der Überlegung, dass wenn es so wäre diese Norm dann ja auch gegenüber § 199 Abs. 3 a BGB vorrangig sein müsste und also sowohl gilt, wenn die Verjährungsfrist verlängert wird (von 3 auf 10 Jahre) als auch dann, wenn sie verkürzt wird (von 30 Jahren auf 10 Jahre). Eine Norm kann nur entweder lex specialis sein oder eben nicht sein. Es wäre systemwidrig, wenn § 196 BGB als Spezialvorschrift zwei verschiedene Vorschriften verdrängt, und zwar die Grundregel (3 Jahre) als auch die Sonderregel (30 Jahre). Es gibt in der Gesetzessystematik keine doppelten Spezialvorschriften.

Das Verhältnis des § 199 Abs. 3 a zu § 196 BGB hat Otte[6] in seiner Kommentierung als Problem zutreffend erkannt, will es aber dahingehend lösen, "dass man § 199 Abs. 3 a auf Ansprüche im Sinne des § 196 BGB anwendet, falls es für den Gläubiger günstiger ist." Eine Begründung hierfür fehlt allerdings. Tatsächlich ist sie auch nicht ersichtlich. Natürlich muss der Widerspruch gelöst werden, aber warum ausgerechnet so, dass es für den Gläubiger günstiger ist? Warum nicht so, dass es für den Schuldner günstiger ist? Tatsächlich lässt die Systematik wie von Damrau zutreffend und ausführlich dargestellt, nur die Lösung zu, dass § 196 für erbrechtliche Ansprüche schlicht und ergreifend gar nicht gilt. Es kann nicht sein, dass das Recht in seiner abstrakten Festlegung je nach Gusto anwendbar ist im Hinblick auf das, was für den Gläubiger günstiger ist. Das gilt natürlich umgekehrt auch insofern, als dass das Gesetz nicht einfach deswegen anwendbar sein kann, nur weil es für den Schuldner günstiger ist. Richtig und zutreffend allein dürfte es sein, auf die Gesetzessystematik abzustellen.

[6] Otte in Staudinger, Neubearbeitung 2013, § 2171 Rn 46.

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