II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist dem Senat nach der vom Nachlassgericht mit weiterem Beschl. v. 29.9.2020 ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. FamFG.

Sie bleibt in der Sache ohne Erfolg, denn das Nachlassgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 2 auf Einziehung des am 9.3.2020 erteilten Erbscheins zu Recht zurückgewiesen.

Nach § 2361 S. 1 BGB ist ein Erbschein einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins desselben Inhalts nie vorlagen oder nachträglich nicht mehr gegeben sind. Die Unrichtigkeit kann sich sowohl aus verfahrensrechtlichen als auch aus materiell-rechtlichen Gründen ergeben. Das Nachlassgericht hat zu prüfen, ob es den Erbschein in seiner derzeitigen Form nochmal erteilen könnte. Es muss die Einziehung anordnen, wenn die zur Begründung des Erbscheinsantrages notwendigen Tatsachen, sei es aus tatsächlichen Gründen, sei es aus rechtlichen Gründen, nicht mehr als festgestellt zu erachten sind, weil die gemäß § 2361 BGB erforderliche Überzeugung des Nachlassgerichts von dem bezeugten Erbrecht über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist (OLG Köln, FamRZ 2003, 1784 m.w.N.; BGH, NJW 1963, 1972; BeckOGK/Neukirchen, Stand: 1.2.2020, § 2361 BGB Rn 8 f.; Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 29 Rn 66).

Zu den die Einziehung eines Erbscheins gebietenden Gründen gehört auch seine materiell-rechtliche Unrichtigkeit aufgrund einer abweichenden Testamentsauslegung. Das Nachlassgericht hat im Einziehungsverfahren den Testamentsinhalt, soweit er für die im Erbschein ausgewiesene Erbenstellung von Bedeutung ist, entsprechend den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen festzustellen. Sofern das Nachlassgericht zu einer mit seinen früheren Feststellungen nicht mehr zu vereinbarenden anderen Testamentsauslegung gelangt, ist der Erbschein einzuziehen (BeckOGK/Neukirchen, a.a.O., § 2361 Rn 11; BGH, NJW 1967, 1126; BayObLG, NJW-RR 1997, 836 f.).

Nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze, die auch für das Beschwerdeverfahren gelten, erweist sich der Einziehungsantrag der Beteiligten zu 2 als unbegründet. Das vom Nachlassgericht bereits auf der Grundlage des Inhaltes der Verfahrensakte und des Vorbringens der Beteiligten gefundene Ergebnis der Auslegung des Testaments vom 10.8.2009 hält der Überprüfung durch den Senat stand.

Ein – unrichtigerweise im Erbschein vom 9.3.2020 nicht bezeugtes – Erbrecht der Beteiligten zu 2 könnte sich allein aus dem von der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehemann am 10.8.2009 errichteten gemeinschaftlichen Testament ergeben und zwar nur dann, wenn die von den Eheleuten verwendete Formulierung "die Kinder" auch die Beteiligte zu 2 einschlösse.

Richtig ist und diesen Ansatz teilt die Beteiligte zu 2, dass die Formulierung "die Kinder" nicht eindeutig und somit auszulegen ist. Indes ist entgegen der von der Beteiligten zu 2 vertretenen Auffassung das vom Nachlassgericht gefundene Auslegungsergebnis nicht zu beanstanden.

Erweist sich der Inhalt eines Testaments als nicht eindeutig, ist es auslegungsbedürftig. Die erläuternde Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Sie soll klären, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. In diesem Zusammenhang verbietet sich gemäß § 133 BGB eine Auslegung, die allein auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks abstellt; vielmehr ist der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, allein sein subjektives Verständnis ist maßgeblich. Bei wechselseitigen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, wozu auch das hier auszulegende sog. Berliner Testament der Eheleute gehört, § 2269 BGB, ist gemäß §§ 157, 242 BGB auch zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Testierenden mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen entsprochen hat. Dabei kommt es auf den übereinstimmenden Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung an (vgl. zur Auslegung: Palandt/Weidlich, BGB, 76. Aufl. 2017, § 2084 Rn 1; Einf v § 2265 Rn 9, jeweils m.w.N.).

Für das vom Nachlassgericht gefundene Ergebnis und gegen die von der Beteiligten zu 2 gewollte Auslegung sprechen die unstreitigen familiären Verhältnisse: während die Beteiligte zu 1 und ihr Bruder im Haushalt der Erblasserin und ihres Ehemannes lebten, bestand zur Beteiligten zu 2 kein Kontakt. Erst deutlich nach Errichtung des Testaments vom 10.8.2009 hat sich die Beteiligte zu 2 im Jahr 2013 um eine Kontaktaufnahme bemüht; dieser wurde ihr nach dem Inhalt ihres eigenen Vorbringens indes verwehrt. Dem allgemein üblichen Sprachgebrauch entspricht es aber, mit den Worten "die Kinder" die im eigenen Haushalt lebenden Kinder zu bezeichnen. Dass insbesondere auch der Ehemann der Erblasserin ein dahingehendes subjektives Verständnis vom Inhalt seiner testamentarischen Verfügungen hatte, legt auch die Verwendung des Wortes "die" als bestimmter Artikel nah...

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