Nach geltendem Betreuungsrecht soll, wie sich aus § 1897 Abs. 4 und 5 BGB ergibt, für die Bestellung zum Betreuer das Wohl des Betreuten ausschlaggebend sein.[22] In der Praxis ist es aber nicht selten, dass – z. B. mangels anderer Verwandter, die zum Betreueramt bereit oder in der Lage sind – als Betreuer ein Verwandter bestellt wird, dessen Verhältnis zum Betreuten bestenfalls unpersönlich ist oder sich im Laufe der Betreuung, sei es aufgrund der Mühen des Amtes oder aus sonstigen Gründen, abkühlt.

[22] Palandt/Diederichsen, § 1897 Rn 22; BayObLG, FamRZ 2002, 768.

1. Das Problem: die Verhinderung der Testamentserrichtung oder -änderung des "behinderten" Betreuten durch den "passiven" Betreuer

Nicht selten ist, dass sich der Betreute im Laufe der Betreuung vom Betreuer vernachlässigt fühlt. Damit einher geht zuweilen die Drohung, den Betreuer zu enterben. Oftmals ist der Betreute aber zur Errichtung eines entsprechenden Testaments körperlich ohne Weiteres nicht mehr in der Lage, z. B. weil er blind oder gelähmt ist, sodass er nur ein notarielles Testament errichten kann. Ist der der Betreute aufgrund der Veranlassung des Betreuers und in Ausfüllung des Aufgabenkreises "Aufenthaltsbestimmung" in einem Heim untergebracht[23], ist der Betreute zur Verwirklichung seines Testierwillens, der den Kontakt zum Notar voraussetzt, letztlich auf die Mitwirkung des Betreuers als dessen "Mittler zur Außenwelt" angewiesen. Kennt der Betreuer den Wunsch des Betreuten zur Errichtung des ihn enterbenden Testaments, stellt sich die Frage, ob seine Passivität diesem Wunsch gegenüber mit der Folge, dass die Errichtung unterbleibt, als Erbunwürdigkeitsgrund zu bewerten ist.

Geht man sachverhaltlich davon aus, dass der Betreuer die Heimunterbringung bereits bewirkt hat, bevor er vom Testamentsänderungswillen des Betreuten erfährt, scheidet eine Verhinderung im Sinne des § 2339 Abs. 1 Ziff. 2 BGB in Form eines – aktiven – Tuns aus und es kommt lediglich ein Handeln in Form des Unterlassens bei Bestehen einer Handlungspflicht in Betracht, was aber zur Tatbestandserfüllung ausreicht.[24] Legt man hierfür die Maßstäbe der Garantenstellung gemäß § 13 StGB an,[25] wird man eine Verpflichtung des Betreuers dazu, dem Testamentsänderungswillen des Betreuten zu verwirklichen, aus dem Gesichtspunkt der "engen Gemeinschaftsbeziehung" bejahen können, wie sie z. B. auch für Pflegeverhältnisse vertreten wird.[26] Dafür spricht auch die in § 1901 Abs. 3 Satz 1 BGB normierte Verpflichtung des Betreuers, den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dieses dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist.

[23] Vgl. Palandt/Diederichsen, § 1896, Rn 20.
[24] Palandt/Edenhofer, § 2339 Rn 5.
[25] Was explizit nicht gefordert wird, aber gedeckt ist von der zu allen Erbunwürdigkeitsgründen § 2339 BGB vertretenen Ansicht, dass ein strafbares Verhalten erforderlich ist, so z. B. Soergel/Damrau, § 2339 Rn 2.
[26] Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Auflage 1996, § 59 IV. 3. b.

2. Überblick: keine Erbunwürdigkeit nach der herrschenden Auslegung zu § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 3 und § 2339 Abs. 1 Ziff. 2 BGB

Fraglich ist aber, ob in unserem Fall auch die Anforderungen an die subjektive Tatbestandsseite erfüllt sind. Die wohl herrschende Ansicht in der Literatur fordert für § 2339 Abs. 1 Ziff. 2 BGB, dass die dort beschriebene Verhinderung absichtlich geschieht.[27] Dies wird offenbar als Absicht im strafrechtlichen Sinne verstanden, wonach der Täter den tatbestandsmäßigen Erfolg anstrebt.[28] Folgt man dieser zu § 2339 Abs. 1 Ziff. 2 BGB zur "vorsätzlichen Verhinderung" vertretenen Auslegung, scheidet eine Erbunwürdigkeit des die Testamentserrichtung hindernden Betreuers nach dieser Vorschrift in unserem Fall aus, wenn dieser zwar die Verhinderung nicht gerade beabsichtigt, sie aber als sichere Folge seines Unterlassens voraussieht. Es kommt dann zwar eine Erbunwürdigkeit gemäß § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 3. BGB in Betracht wegen des Versetzens des Erblassers in den Zustand der Testierunfähigkeit, wofür keine Absicht gefordert wird[29]. Dies scheidet aber aus, wenn nach zuweilen vertretener Ansicht dieser Zustand ein körperlicher oder geistiger sein muss und z. B. ein Einsperren des Erblassers nicht ausreicht[30], sinngemäß also die Herbeiführung einer das Testieren hindernden Körper- oder Geistesschwäche verlangt wird. Die Kombination dieser Auslegungen zu § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 und Ziff. 2 BGB führt also dazu, dass in unserem Falle eine Erbunwürdigkeit nicht vorliegt. Dieses Ergebnis gibt Anlass, die Berechtigung dieser Auslegungen genauer zu prüfen.

[27] Staudinger/Olshausen, § 2339 Rn 35; Brox/Walker, Erbrecht, 23. Auflage 2009 Rn 277, Schlüter, Erbrecht, 16. Auflage 2007, Rn 415.
[28] Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 29 III. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 27. Auflage 2006, § 15 Rn 64.
[29] Vgl. Staudinger/Olshausen, § 2339 Rn 32; Soergel/Damrau, § 2339 Rn 4.
[30] Staudinger/Olshausen, § 2339 Rn 32; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Auflage 2001, § 6 II 1, Fn. 27.

3. "Versetzen in den Zustand der Testierunfähigkeit"?

Die Auslegung des § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 Alt. 3 BGB, wonach der durch das Versetzen herbeigeführte Zustand der Testierunfähigkeit ein Zustand körperlicher oder geistiger Testierunfähigkeit sein muss, ergibt sich j...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge