Dem Urteil des BSG vom 20.8.2019 – B 2 U 1/18 R lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger bewarb sich um eine Stelle als LKW-Fahrer in dem Entsorgungsunternehmen des Beigeladenen. Bei dem Vorstellungsgespräch wurde verabredet, der Kläger solle am 13.9.2012 einen unentgeltlichen Probetag absolvieren. An diesem Tag stürzte der Kläger bei einem Mülltonnentransport von der Ladebordwand des LKW, verletzte sich u.a. am Kopf und zog sich eine Hirnblutung (epidurales Hämatom) zu. Die Beklagte lehnte es ab, Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Sie führte aus, zum Unfallzeitpunkt habe das Eigeninteresse des Klägers im Vordergrund gestanden, und verwies auf die Entscheidung des BSG vom 20.1.1987 – 2 RU 15/86. Das LSG hatte die Ansicht vertreten, der Kläger sei als Beschäftigter gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Das BSG folgt dem zwar nicht, weist die Revision der Beklagten jedoch zurück, da sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig erweise (§ 170 Abs. 1 S. 2 SGG).

Der Kläger sei bei der zum Unfall führenden Verrichtung zwar nicht als Beschäftigter tätig gewesen, stand jedoch als sog. Wie-Beschäftigter nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und hat einen Unfall i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB VII erlitten.

Beschäftigung ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insb. in einem Arbeitsverhältnis, wobei Anhaltspunkte hierfür eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sind. Auch ohne bestehendes Arbeitsverhältnis kann Beschäftigung in diesem Sinne vorliegen, wenn der Verletzte sich in ein fremdes Unternehmen eingliedert und seine konkrete Handlung dem Weisungsrecht eines Unternehmers unterordnet. Das bloße Tätigwerden wie ein regulär Beschäftigter in einem fremden Betrieb reicht für die Annahme einer Eingliederung allerdings noch nicht aus, weil auch Werk- und Dienstleistungen Selbstständiger oder betriebsfremder Beschäftigter für das Unternehmen in dessen Räumen bzw. in räumlicher Nähe häufig in Zusammenarbeit mit der Stammbelegschaft erbracht werden, ohne dass dadurch ein "Beschäftigungsverhältnis" zwischen dem jeweiligen Erwerbstätigen und dem Unternehmer besteht. Vielmehr setzt die Eingliederung zusätzlich voraus, dass die Unternehmenszugehörigkeit des Betroffenen nach außen hin dokumentiert ist und – objektivierbar – die gegenseitige Erwartung des Unternehmers und des Betroffenen vorliegt, dass die Tätigkeit auf Dauer in die Zukunft gerichtet ausgeübt wird. Diese Erfordernisse waren hier nicht erfüllt. Weder der Beigeladene noch der Kläger durften im Zeitpunkt der unfallbringenden Verrichtung davon ausgehen, dass zwischen ihnen künftig und dauerhaft eine arbeitsrechtliche Verbindung begründet werden sollte.

Der Kläger übte vielmehr nur eine temporäre Hilfstätigkeit aus, wie sie für die sog. Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII prägend ist. Der endgültige Vertragsabschluss hing von den Eindrücken ab, die beide Seiten während der eintägigen "Einführungsphase" gewinnen sollten. § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII gewährt Personen, die wie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden, auch unterhalb der Schwelle einer Beschäftigung Versicherungsschutz. Voraussetzung hierfür ist, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird. Dies bejaht das BSG hier. Soweit das Gericht dies in der Vergangenheit anders beurteilt hat, weil bei Probearbeiten das eigene Interesse des Handelnden im Vordergrund stehe, eine dauerhafte Beschäftigung zu erhalten (BSG, Urt. v. 20.1.1987 – 2 RU 15/86), wird hieran nicht festgehalten.

 

Hinweis:

Arbeitsrechtlich handelt es sich hier um ein sog. Einfühlungsverhältnis (s. hierzu Sartorius, ZAP F. 17, S. 1015 ff.). Hiervon wird gesprochen, wenn im Rahmen einer unbezahlten Kennenlernphase dem (evtl.) künftigen Arbeitnehmer ohne Bestehen einer Arbeitspflicht zunächst Gelegenheit gegeben werden soll, sich einen Überblick über seinen bevorstehenden Tätigkeitsbereich zu verschaffen. Hiervon ist zu unterscheiden das Probearbeitsverhältnis. Auch die Vereinbarung einer Probezeit trägt dem praktischen Bedürfnis v.a. des Arbeitgebers Rechnung, in den ersten Monaten des Arbeitsverhältnisses die Leistungsfähigkeit des Vertragspartners zu erkunden und ggf. das Vertragsverhältnis relativ kurzfristig beenden zu können. Für die Dauer der Probezeit besteht allerdings ein reguläres Arbeitsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Die einzige Rechtsfolge der Vereinbarung einer Probezeit ist die verkürzte Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 3 BGB.

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