Der Entscheidung des BVerfG vom 4.8.2016 (1 BvR 380/16) lag als Sachverhalt zugrunde: Das SG hatte die Beklagte für einen rückwirkenden Zeitraum zu Sozialhilfeleistungen verurteilt. Diese legte gegen das Urteil Berufung ein und beantragte die Aussetzung der Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil nach § 199 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Beschwerdeführer stellte daraufhin den Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für das Aussetzungsverfahren. Gegen die insofern ablehnende Entscheidung des LSG legte er Verfassungsbeschwerde ein, der das BVerfG stattgab.

Das Gericht verweist einleitend auf seine ständige Rechtsprechung, wonach das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet, was aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der Öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist, die Gewährung von PKH davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Allerdings soll die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptverfahrens treten zu lassen. Das PKH-Verfahren soll den Rechtsschutz nicht selbst realisieren, sondern diesen zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz, in dem es die Gewährung von PKH bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (s. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).

Das BVerfG greift bei PKH-Entscheidungen, die mit Verfassungsbeschwerde beanstandet werden, insbesondere nur dann ein, wenn die Fachgerichte den verfassungsrechtlich eingeräumten Entscheidungsspielraum überschreiten, d.h. wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur Bemittelten die Rechtsverfolgung/Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird, was namentlich dann der Fall ist, wenn die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung/Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der PKH deutlich verfehlt wird.

Das LSG hatte die Ablehnung der PKH damit begründet, bei der nach § 199 Abs. 2 S. 1 SGG (wonach der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat) vorzunehmenden Interessenabwägung sei einerseits die Erfolgsaussichten der Berufung, andererseits das Interesse des Beschwerdeführers an der Vollziehung des Urteils und schließlich das Interesse der Beklagten im Berufungsverfahren daran zu berücksichtigen, nicht vor einer endgültigen Klärung der Rechtslage vorläufig leisten zu müssen. Ob die Berufung erfolgreich sein werde, lasse sich derzeit nicht abschätzen.

Das BVerfG betont jedoch, dass in diesem Fall eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Abwehr des Aussetzungsantrags ganz eindeutig besteht: Die sozialgerichtliche Rechtsprechung nimmt ganz überwiegend an, dass ein Antrag eines zu Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII verurteilten Leistungsträgers auf Aussetzung der Vollstreckung nur in seltenen Fällen zur vorläufigen Nichtgewährung zugesprochener existenzsichernder Leistungen im Wege des Verfahrens nach § 199 Abs. 2 S. 1 SGG führen kann. Bei Berufungen und Revisionen, die – wie es auch hier der Fall ist – nach § 154 Abs. 2 SGG keine aufschiebende Wirkung haben – kommt eine Aussetzung nur dann in Betracht, wenn ein Rechtsmittel offensichtlich Aussicht auf Erfolg habe. Ausgehend hiervon war das LSG angesichts seiner Annahme, die Berufungsaussichten des Leistungsträgers ließen sich derzeit nicht abschätzen, gehalten, bei der Prüfung des PKH-Antrage von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung im Aussetzungsverfahren auszugehen und PKH zu gewähren.

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