I. Einleitung

Neben der Geschwindigkeitsüberschreitung (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 9, S. 877 ff.) sind in der Praxis sicherlich Rotlichtverstöße mit die häufigsten Verkehrsordnungswidrigkeiten. Für die Betroffenen sind sie ebenso wie Geschwindigkeitsüberschreitungen deshalb von großer Bedeutung, weil schnell durch eine "lange" Rotlichtzeit der Bereich des sog. qualifizierten Rotlichtverstoßes nach Nr. 132.3 der Verordnung über die Erteilung einer Verwarnung, Regelsätze für Geldbußen und die Anordnung eines Fahrverbots wegen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr (BKatV) erreicht und damit ein Fahrverbot verhängt werden kann.

 

Hinweis:

Wegen dieser besonderen Bedeutung von Rotlichtverstößen ist es – wie bei der Geschwindigkeitsüberschreitung – die besondere Aufgabe des Verteidigers, auf "Schwach- bzw. Angriffspunkte" im tatrichterlichen Urteil des Amtsrichters zu achten. Auf den ein oder anderen Punkt, auf den der Verteidiger besonders achten muss, will dieser Beitrag hinweisen (zu Rotlichtverstößen s.a. noch Burhoff in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2015, Rn 3551 ff. [im Folgenden: Burhoff/Bearbeiter, OWi]; zu den Messverfahren Burhoff/Böttger/Groß, OWi, Rn 3576 ff.). Zu unterscheiden sind der allgemeine Rotlichtverstoß, der nicht die Verhängung eines Fahrverbots zur Folge hat (vgl. dazu II.) und der sog. qualifizierte Rotlichtverstoß, der i.d.R. zur Verhängung eines Regelfahrverbots nach Nr. 132.3 BKatV führt (vgl. dazu III.).

II. Grenzfälle

Für die Verteidigung entscheidend ist zunächst die Frage, ob es sich bei dem seinem Mandanten zur Last gelegten Verkehrsverhalten überhaupt um einen Rotlichtverstoß i.S.d. § 37 StVO handelt oder ob ein Grenzfall vorliegt, bei dem ein Rotlichtverstoß zu verneinen wäre. Dazu gilt:

1. Allgemeines

Ein Rotlichtverstoß liegt nach §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 StVO immer dann vor, wenn der Kraftfahrer das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage (im Folgenden: LZA), das nach der StVO "Halt" bedeutet, missachtet hat. Ein Rotlichtverstoß ist hingegen nicht gegeben, wenn der Betroffene die Ampel zwar bei Rotlicht passiert hat, er aber noch vor dem eigentlichen Schutzbereich, z.B. der Kreuzung, anhält (BGHSt 43, 285 = NZV 1998, 119, 120; BayObLG NZV 1994, 200; OLG Bremen DAR 2002, 225; OLG Celle zfs 1997, 355; OLG Hamm VRS 85, 464; OLG Köln NZV 1994, 330). Dann handelt es sich nur um einen Verstoß gegen §§ 41 Abs. 3 Nr. 2 (Zeichen 294), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO.

2. Spurwechsel

Ob es sich beim sog. Spurwechsel um einen Rotlichtverstoß handelt, war lange Zeit unter den OLG umstritten. Diese vertraten teilweise die Auffassung, dass bei einer Ampelanlage mit unterschiedlichen Lichtzeichen für Geradeaus- und Abbiegeverkehr ein Rotlichtverstoß dann nicht vorliegt, wenn der Betroffene zwar in der durch Rot gesperrten Spur die Ampel passierte, dann aber auf eine durch Grün freigeschaltete andere Spur wechselte und dort weiterfuhr (vgl. dazu u.a. den Vorlagebeschluss des OLG Hamm in NZV 1997, 86 [Ls.] = VRS 93, 210 m.w.N.; a.A. u.a. OLG Köln VRS 56, 472). Der BGH hat diesen Streit inzwischen jedoch entschieden: Danach liegt ein Rotlichtverstoß bereits dann vor, wenn der Kraftfahrer auch nur ein kurzes Stück auf der durch Rotlicht gesperrten Spur fährt (BGHSt 43, 285 = NZV 1998, 119). Entsprechendes gilt, wenn der Betroffene auf einer mit einem Linksabbiegerpfeil versehenen Fahrspur bei Grün in eine Kreuzung eingefahren ist, diese dann aber geradeausfahrend passiert hat, obwohl das für Geradeausfahrer geltende Lichtzeichen beim Erreichen der Haltelinie Rotlicht zeigte (OLG Hamm NZV 1998, 255 = DAR 1998, 244 = VRS 95, 134; VA 2005, 193 = VRR 2005, 391; ähnlich OLG Zweibrücken NZV 1997, 324; zuletzt OLG Köln VA 2015, 208 = VRR 11/2015, S. 12 = NStZ-RR 2015, 253; zum Spurwechsel, insb. zur Frage, was zum geschützten Kreuzungsbereich gehört, vgl. AG Celle VM 2006, 39 [Nr. 40]). Das gilt auch dann, wenn der Entschluss zum Geradeausfahren erst nach Passieren der Haltelinie gefasst wird (OLG Köln a.a.O.).

3. Umfahren der Lichtzeichenanlage

Ein Rotlichtverstoß ist dann nicht gegeben, wenn der Kraftfahrer die Rot zeigende LZA dadurch umgeht, dass er z.B. über ein seitlich gelegenes Grundstück fährt, um die kreuzende Straße zu erreichen (OLG Düsseldorf NZV 1998, 41; OLG Hamm VA 2013, 195 = NZV 2013, 508 = VRR 2013, 433 [Tankstellengelände]; vgl. aber auch zur a.A. BayObLG NZV 1994, 80; OLG Düsseldorf NZV 1993, 243). Entscheidend ist in diesen sog. Umgehungsfällen, ob der Verkehrsteilnehmer, den durch die LZA geschützten Kreuzungsbereich berührt oder nicht. Denn die Signale der LZA betreffen grundsätzlich nur die Fahrzeuge im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich. Deshalb begeht z.B. derjenige, der die LZA innerhalb des durch sie geschützten Bereichs durch Benutzung des Gehwegs umfährt, einen Rotlichtverstoß, wenn er unmittelbar nach Umfahren der LZA auf die Fahrbahn zurückkehrt (OLG Hamm NStZ-RR 2002, 250 = VRS 113, 135 = NZV 2002, 408, für den Führer eines Leichtkraftrads, der vor der LZA auf den Gehweg gefahren und hinter der LZA wieder auf die k...

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