Der Verteidiger muss die Fälle, in denen in der Rechtsprechung bislang bei einem Rotlichtverstoß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen worden ist, kennen. Sie sind im nachfolgenden ABC zusammengestellt:

  • Abbiegen

    Ein Verwechseln der Ampel für Abbieger mit der für den Geradeausverkehr kann beim Abbiegen zum Absehen von einem Fahrverbot führen (OLG Düsseldorf DAR 2000, 126; OLG Hamm DAR 1996, 69 [Ls.]; OLG Karlsruhe DAR 1996, 367); s.a. "Fußgängerampel".

  • Adressensuche

    Bei Ablenkung durch Adressensuche kann ein Absehen von einem Fahrverbot in Betracht kommen (OLG Koblenz NJW 2004, 1400 für Suche nach einer Apotheke; DAR 1994, 287 für Auslieferungsfahrer).

  • Anhalteschwierigkeiten

    Hat der Betroffene die Ampel zwar zuvor beobachtet, hat er dann jedoch wegen spiegelglatter Fahrbahn Schwierigkeiten, seinen Pkw anzuhalten, handelt es sich nur um leichte Fahrlässigkeit mit der Folge, dass ein Fahrverbot nicht verhängt werden kann (OLG Dresden DAR 1998, 280).

  • Baustellenampel

    Bei einem Verstoß ohne Gefährdung des entgegenkommenden Verkehrs, insbesondere beim "Anhängen" an den Vordermann, handelt es sich häufig um einen atypischen Fall, der zum Absehen vom Regelfahrverbot berechtigt (OLG Brandenburg zfs 2003, 471; OLG Düsseldorf DAR 1995, 30; OLG Hamm NZV 1994, 369 und Beschl. v. 6.2.2007 – 4 Ss OWi 740/06; OLG Köln DAR 1994, 249; OLG Oldenburg zfs 1995, 75). Das gilt allerdings nicht, wenn der Betroffene zuvor an bereits haltenden Fahrzeugen vorbeigefahren ist (OLG Düsseldorf DAR 1999, 512).

  • Busspur

    Verirrt sich der Fahrer in einer Busspur und fährt er bei Dauerrotlicht, das nur vom Busfahrer umgeschaltet werden kann, weiter, kommt ein Fahrverbot nicht in Betracht (OLG Hamm DAR 1994, 409; BayObLG VRS 90, 51).

  • Dauerrotlicht

    Die Umstände des Einzelfalls (hier: ca. dreiminütiges Warten bei irriger Annahme von [Dauer-]Rot und Animation zur Weiterfahrt) können es durchaus rechtfertigen, von einem Fahrverbot abzusehen (OLG Hamm NStZ 1999, 518 = DAR 1999, 515 = VRS 97, 384 = NZV 2000, 52).

  • Einmündung

    Anhalten an der Haltelinie, danach langsames Anfahren, die LZA befand sich nach einer auf die Haltelinie folgenden Einmündung (KG DAR 2014, 395).

  • Frühstart

    Beim Frühstarter wird i.d.R. nicht mehr von einem Fahrverbot abgesehen (OLG Bamberg VA 2009, 209 = VRR 2010, 34 = NJW 2009, 3736 = NZV 2009, 616). Kommt es infolge des Frühstarts allerdings nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, kann von einem Fahrverbot abgesehen werden (OLG Köln NZV 1994, 330; OLG Oldenburg NZV 1994, 38), bei einem Frühstart mit anschließendem Unfall kommt hingegen die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht (BayObLG DAR 1996, 103; s.a. OLG Hamm MDR 2000, 519; zur Berücksichtigung der Gefährdung anderer s. "Mitzieheffekt"). Ein Ausnahmefall kann vorliegen, wenn das missachtete Rotlicht gerade nicht dem Schutz des Querverkehrs dient, sondern ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion erfüllt und deshalb eine auch abstrakte Gefährdung des Querverkehrs oder anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (OLG Bamberg a.a.O.).

  • Getrennte Ampelschaltung

    Die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes ist abgelehnt worden, wenn aufgrund von getrennter Ampelschaltung andere Verkehrsteilnehmer, die durch das missachtete Lichtzeichen geschützt werden sollten, nicht in den geschützten Bereich eindringen durften und zum Zeitpunkt des Überquerens der Haltelinie bei Rotlicht und Überwechselns auf die Geradeausspur, für die Grünlicht gezeigt wurde, weder abstrakte noch konkrete Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer vorlagen (OLG Stuttgart VRR 2014, 111).

  • Fußgängerampel

    Hier sind verschiedene Fallgestaltungen möglich: Ein qualifizierter Rotlichtverstoß wird z.B. ausscheiden können, wenn der Verstoß zur Nachtzeit und bei geringem Verkehrsaufkommen und mit Schrittgeschwindigkeit begangen wurde (OLG Düsseldorf zfs 1995, 294). Entsprechendes gilt, wenn der Fahrer weiterfährt, nachdem er zuvor einen Fußgänger hat passieren lassen (OLG Düsseldorf VRS 90, 226; OLG Karlsruhe zfs 1996, 274; vgl. aber OLG Stuttgart DAR 2003, 574). Für den Wegfall des Fahrverbots ist regelmäßig aber dann kein Raum, wenn der qualifizierte Rotlichtverstoß mit einer Verwechslung der bereits Grünlicht anzeigenden und parallel zur beabsichtigten Fahrtrichtung den Fußgängerverkehr frei gebenden Fußgängerampel begründet wird (OLG Bamberg zfs 2016, 50, VA 2016, 48).

  • Mitzieheffekt

    Beim sog. Mitzieheffekt besteht in der Rechtsprechung Streit. Dieser entzündet sich an der Frage, ob es für das Absehen vom Fahrverbot ausreicht, dass es durch den qualifizierten Rotlichtverstoß nicht zu einer konkreten Gefährdung eines anderen Verkehrsteilnehmers, insbesondere des sog. Querverkehrs, gekommen ist (so KG NZV 1994, 238 f.; 2002, 50; 2010, 361; OLG Düsseldorf DAR 1996, 107; OLG Oldenburg NZV 1995, 119) oder ob bereits allein die abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer genügt (OLG Düsseldorf NZV 1996, 117; NZV 1998, 335; DAR 2000, 127, 128; OLG Hamm NZV 1996, 327;...

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