In der zweiten Durchsuchungsentscheidung (LG Augsburg, Beschl. v. 12.9.2017 – 1 Qs 339/17) geht es ebenfalls um den Anfangsverdacht als Grundlage einer Durchsuchungsanordnung. Das AG Augsburg hatte den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg. Grundlage des Antrags der Staatsanwaltschaft war ein bei der Polizei eingegangenes, datumsloses und nicht unterschriebenes handschriftlich gefertigtes Schreiben, in dem es hieß: "Die Pädophilen sind überall. So ist mir bekannt, dass auch in D. die Pädophilen ihr Unwesen treiben. Besonders Herr pp. und sein Sohn vertreiben Kinderpornographie der übelsten Art. Der Computer ist im Keller versteckt." Die Polizei stellte fest, dass die namentlich benannten Personen tatsächlich existierten, deren Wohnadresse aber falsch angegeben sei. Beide seien polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten.

AG und LG meinen übereinstimmend: Bei einer anonymen Anzeige liegt kein Anfangsverdacht vor. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG gebiete, dass nur dann in den daraus resultierenden Schutzbereich eingegriffen werden darf, wenn hierfür konkrete tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschl. v. 14.7.2016 – 2 BvR 2474/14, StV 2017, 361 = StRR 10/2016, 8; dazu auch ZAP F. 22 R, S. 981 ff.) bedeute dies, dass eine anonyme Anzeige grundsätzlich nicht ausreiche, einen Anfangsverdacht zu begründen. Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen. Es sei mit der Rechtsordnung und dem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar, wenn allein aufgrund einer anonymen Behauptung Durchsuchungen bei bislang völlig unbescholtenen Bürgern erfolgen. Insoweit habe die Staatsanwaltschaft auch die Unschuldsvermutung zu beachten. Soweit die Staatsanwaltschaft die anonyme Anzeige rechtsirrig deshalb für nicht pauschal erachtet, weil eine Adresse angegeben wurde und als Standort eines Computers der Keller genannt wurde, verkenne sie, dass sich aus derart nichtssagenden Angaben bei objektiver Betrachtung keinerlei Erkenntnisse ergeben, die einen Verdacht begründen oder erhärten können. Daraus, dass ein Haus einen Keller habe, lasse sich jedenfalls kein Schluss darauf ziehen, dass kinderpornographische Schriften vertrieben werden. Und die Behauptung, dort sei ein Computer, sei genauso pauschal gehalten wie die Beschuldigung selbst. Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der anonymen Anzeige würden sich hieraus nicht ziehen lassen können. Anders als bei namentlich gekennzeichneten Anzeigen setze sich ein anonymer Anzeigenerstatter nicht der Strafverfolgung wegen falscher Verdächtigung und übler Nachrede aus. Weder die Glaubwürdigkeit des Anzeigenerstatters noch die Glaubhaftigkeit seiner Angaben seien für die Ermittlungsbehörden einschätzbar.

 

Hinweis:

Etwas anderes gilt hinsichtlich einer anonymen Anzeige als Grundlage einer Durchsuchungsanordnung nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.), "wenn sie [die Anzeige] von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wird." (vgl. auch Burhoff, EV, Rn 1405 ff.).

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