Die moderne Technik ist auch im Strafverfahren bzw. in der StPO angekommen. Eine Stelle, an der das sehr deutlich wird, ist die Frage der Zulässigkeit von Videovernehmungen in der Hauptverhandlung und der damit zusammenhängenden Problematik, wie diese durchzuführen sind. Dazu verhält sich der BGH (Beschl. v. 20.9.2016 – 3 StR 84/16, NJW 2017, 181 = StraFo 2017, 22) mit folgendem Sachverhalt: Das Landgericht hatte in einem Verfahren wegen Mordes auf Antrag der Nebenklägervertreterin die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zwölf Jahre alte Tochter des Angeklagten und seiner Ehefrau als Zeugin vernommen. Die Strafkammer ordnete unter Hinweis auf § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO an, dass sich die Zeugin während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhalten solle, da ihr mit der Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten ein schwerwiegender Nachteil für ihr Wohl drohe. Der Vorsitzende der Strafkammer und die Zeugin begaben sich sodann in einen gesonderten Video-Vernehmungsraum. Dort belehrte und befragte der Vorsitzende die Zeugin. Die entsprechenden Vorgänge wurden per Wort und Bild in den eigentlichen Sitzungssaal übertragen, wo ein beisitzender Richter mit dem Vorsitzenden telefonisch verbunden war. Auf diesem Wege erhielten die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit, nach der Befragung der Zeugin durch den Vorsitzenden auf ergänzende Fragen hinzuwirken. Diese Verfahrensweise, die dem sog. Mainzer Modell entspricht, ist vom Angeklagten als ein Verstoß gegen § 338 StPO gerügt worden. Die Revision hatte beim BGH Erfolg.

Der BGH (a.a.O.) ist von einer Verletzung des § 247a Abs. 1 S. 1 StPO ausgegangen. Die Verfahrensweise des Landgerichts entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Nach § 250 S. 1 StPO müsse ein Zeuge grundsätzlich in der Hauptverhandlung körperlich anwesend sein und dort vom Tatgericht vernommen werden. Von diesem Unmittelbarkeitsgrundsatz mache § 247a Abs. 1 S. 1 StPO eine Ausnahme. Nach seinem Wortlaut gestatte § 247a Abs. 1 S. 1 StPO aber nur, dass der Zeuge sich nicht in dem Sitzungszimmer aufhalte, in dem die eigentliche Hauptverhandlung stattfinde. Sie legitimiere es dagegen nicht, dass ein sonstiger Verfahrensbeteiligter, wie hier der Vorsitzende der Strafkammer, dessen ununterbrochene Gegenwart in der Hauptverhandlung nach § 226 Abs. 1 StPO vorgesehen ist, das Sitzungszimmer verlasse, um den Zeugen anderswo zu vernehmen. Dieser eindeutige Regelungsgehalt des § 247a Abs. 1 S. 1 StPO beruhe auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Die Vorschrift sei mit dem Ziel einer schonenden Vernehmung besonders schutzbedürftiger Zeugen durch Art. 1 Nr. 4 ZSchG in die StPO eingefügt (am 1.12.1998 in Kraft getreten) und in der Folgezeit mehrfach modifiziert worden. Zuvor hätten die Tatgerichte es teilweise für zulässig erachtet, dass insbesondere kindliche Zeugen in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs außerhalb des Gerichtssaals durch den Vorsitzenden vernommen werden und diese Vernehmung in den Sitzungssaal übertragen wird (sog. Mainzer Modell, vgl. LG Mainz NJW 1996, 208; zur Videovernehmung in der HV vgl. Burhoff, HV, Rn 3307 ff.).

In Kenntnis der dazu vertretenen unterschiedlichen Auffassungen und nach mehreren Regelungsvorschlägen (vgl. BT-Drucks 13/3128, 13/4983, 13/7165) habe sich – so der BGH – der Gesetzgeber sodann auf einen Vorschlag des Vermittlungsausschusses hin (BT-Drucks 13/10001) dafür entschieden, dem in Großbritannien bereits praktizierten sog. Englischen Modell den Vorzug zu geben, bei dem der Vorsitzende und die übrigen Verfahrensbeteiligten den Sitzungssaal nicht verlassen und der Zeuge, der sich an einem anderen Ort aufhält, mittels einer Bild-Ton-Direktübertragung vernommen wird. Vor diesem Hintergrund verbiete sich in Übereinstimmung mit der soweit ersichtlich einhelligen Auffassung im Schrifttum (vgl. u.a. Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn 1; vgl. auch BGHSt 45, 188, 196) ein weites Verständnis des als Ausnahmevorschrift ohnehin eng auszulegenden § 247a StPO dahin, dass die vom Landgericht praktizierte Verfahrensweise einer "gespaltenen Hauptverhandlung", bei welcher der Vorsitzende den Zeugen außerhalb des Sitzungssaals vernimmt und die Befragung dorthin übertragen wird, noch von der Norm legitimiert sei. Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt nach Auffassung des BGH nicht in Betracht.

 

Hinweis:

Der BGH erteilt mit der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Entscheidung dem sog. Mainzer Modell eine klare Absage. Ob es sich dabei um einen Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO oder gegen § 338 Nr. 5 StPO handelt – der BGH tendiert m.E. zur Recht zu Nr. 5 – hat der BGH offen gelassen. Jedenfalls ist mit dieser Entscheidung, das "Mainzer Modell" nicht mehr praktikabel. M.E. eine vom Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des § 247a StPO gesehen konsequente Entscheidung.

Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge war im Übrigen nicht deshalb präkludiert, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung die Art und Weise der Durchführung der audiovisuellen Vernehmung der Zeugin nicht ...

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