Tatprovokationen gehören seit dem Umschwenken der Rechtsprechung auf die "Strafzumessungslösung" (BGHSt 32, 345, 350 ff.) zu den polizeilichen Routinemaßnahmen. Zum Teil werden Unverdächtige, im Allgemeinen aber solche Personen durch Verdeckte Ermittler, nicht offen ermittelnde Polizeibeamte oder Vertrauenspersonen der Polizei angegangen, "die in einem den §§ 152 Abs. 2, 160 StPO vergleichbaren Grad verdächtig sind, an einer bereits begangenen Straftat beteiligt gewesen zu sein oder zu einer zukünftigen Straftat bereit zu sein" (BGHSt 45, 321, 337).

Bezüglich der Tat, zu der die Zielperson erst veranlasst wird, kann zur Zeit der Provokation aber kein Anfangsverdacht bestehen. Prognosen künftigen eigenverantwortlichen Handelns sind nach Erfahrungen aus dem Recht der Sicherungsverwahrung kaum realistisch, was bei der Tatprovokation durch staatliche Lenkung des Geschehens kaschiert wird. Der Anfangsverdacht einer anderweitig bereits begangenen Tat ist dagegen in den Provokationsfällen oft vage. Auch wirkt die Annahme, durch Provokation einer neuen Tat könne auch eine bereits begangene Tat aufgeklärt werden, spekulativ. Der hoheitliche Eingriff ist durch eine Mischung aus strafprozessualen und polizeirechtlichen Elementen sowie die Vagheit der Tatsachengrundlagen gekennzeichnet. Eine neutrale Kontrolle des Einsatzes findet allenfalls statt, soweit der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers als solcher staatsanwaltschaftlich oder richterlich genehmigt werden muss (§ 110b StPO).

Bei dem häufigeren Einsatz von Vertrauenspersonen der Polizei fehlt sie ganz. Vor allem fehlt eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Die Praxis begnügt sich mit der Ermittlungsgeneralklausel. Das reicht bei einem Vergleich mit §§ 110a ff. StPO nicht aus. Erstaunlicherweise wird auch die Frage, ob der Einsatz gegen die Zielperson in deren Grundrechte eingreift und durch Schrankenbestimmungen gerechtfertigt ist, selten gestellt. In Betracht kommt, soweit kein Spezialgrundrecht betroffen ist, eine Antastung der Menschenwürde dadurch, dass die Zielperson zum Objekt der Kriminalitätsbekämpfung gemacht wird, oder ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Tyszkiewicz, Tatprovokation als Ermittlungsmaßnahme, 2014, S. 56 ff.). Ferner können prozessuale Rechtspositionen berührt sein, insbesondere das Recht auf Fairness im Verfahren. Die Menschenwürdegarantie und der Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit zählen zum Unverfügbaren (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG, § 136a Abs. 3 StPO), nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Verfahrensfairness sind einer Abwägung mit Gegenpositionen zugänglich.

Die Rechtsprechung postuliert, dass das angeblich Notwendige bis zu einer diffusen Grenze der Unvereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip legitim sei. Eine Begründung dafür, dass unterhalb dieser Schwelle kein Eingriff in Grundrechte vorliege oder nur ein solcher, der mit der Ermittlungsgeneralklausel gestattet sei, findet sich nicht. Darüber muss neu nachgedacht werden, nachdem der EGMR die Kreise der innerstaatlichen Rechtsprechung gestört hat (EGMR StraFo 2014, 504 ff. mit Anm. Sommer = JR 2015, 81 ff. mit Anm. Petzsche). Er nimmt eine Unfairness des Verfahrens im Sinne der Konvention an, wenn der Staat auf eine Tatbegehung derart Einfluss nimmt, dass die Tat ohne dies nicht begangen worden wäre.

Nach der Rechtsprechung des BGH reicht bloße Anstiftung dagegen nicht aus, um einen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu bejahen. Vielmehr wird die Autonomie des Willensentschlusses des Angeklagten bei der Tat betont. Erst ein übermächtiger Einfluss des Staates, der den Willen beugt oder bricht, gilt als kompensationsbedürftig. Auch dann wird eine Strafmilderung aber noch als ausreichende Kompensation angesehen. Der EGMR betont dagegen, dass alle Beweise, die durch die staatlich initiierte Tat hervorgebracht werden, unverwertbar sind. Das BVerfG hat erwidert, dass der Ansatz des EGMR nur behutsam in das deutsche Recht zu übertragen sei. Dazu wird das Gebot der Effektivität der Strafrechtspflege im Interesse des Opferschutzes hervorgehoben (BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 BvR 209, 240, 262/14, ZAP EN-Nr. 199/2015 [in diesem Heft]). Das erinnert an die Annahme eines dreipoligen Grundrechtsverhältnisses bei der Sicherungsverwahrung (BVerfGE 128, 326, 371; a.A. Renzikowski ZIS 2011, 531, 538 f.). Danach tritt nicht nur der Staat dem verdächtigen Bürger gegenüber, sondern die zu schützenden anderen Bürger sind in die Betrachtung einzubeziehen. Das entspricht nicht der zweipoligen Grundkonstruktion der Grund- und Menschenrechte als Abwehrrechte des betroffenen Bürgers gegen den Staat. Die Allgemeinheit wird durch den Staat repräsentiert. Sie darf nicht doppelt auf die Waagschale gelegt werden, um Unverfügbares zu relativieren und Abwägungspositionen von Beschuldigten zu minimieren. Würde man zur Annahme eines zweipoligen Verhältnisses zurückkehren, wäre die Eingriffsschwelle bei staatlichen Tatprovokationen tiefer anzusetzen al...

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