Durch die Mietrechtsreform 2001 ist die Kündigung aus wichtigem Grund in § 543 Abs. 1 BGB im Mietrecht kodifiziert worden. § 543 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt dabei eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls; hierzu gehören auch etwaige Härtegründe auf Seiten des Mieters. Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gehalten, ihre Entscheidung auch verfassungsrechtlich auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Das kann bei der Gesamtabwägung nach § 543 Abs. 1 S. 2 BGB zur Folge haben – was vom Gericht im Einzelfall zu prüfen ist –, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung wegen besonders schwerwiegender persönlicher Härtegründe auf Seiten des Mieters trotz seiner erheblichen Pflichtverletzung nicht vorliegt (BGH NZM 2017, 26 = MDR 2017, 20 = GE 2017, 45 = WuM 2017, 23 = MietPrax-AK § 543 BGB Nr. 42 m. Anm. Börstinghaus; Beuermann GE 2017, 22). Dabei war der zugrundeliegende Fall durchaus dramatisch. Die heute 97 Jahre alte Mieterin hatte 1955 eine Dreizimmerwohnung in München und im Jahr 1963 zusätzlich eine in demselben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzimmerwohnung gemietet. Die (bettlägerige) Mieterin, für die wegen einer Demenzerkrankung eine Betreuung angeordnet ist, bewohnt die Dreizimmerwohnung. Der Betreuer bewohnt seit dem Jahr 2000 die Einzimmerwohnung und pflegt die Mieterin ganztägig. Der Betreuer schrieb 2010/2011 wiederholt Briefe und E-Mails mit beleidigendem Inhalt an Nachbarn und die Vermieterin. In einem Schreiben hieß es u.a. "eure beschissene/verschissene Anfeindungscharakter". Die Klägerin erklärte daraufhin mit Anwaltsschreiben vom 21.4.2015 die fristlose Kündigung der Mietverhältnisse. Dies veranlasste den Betreuer der Vermieterin ein Hausverbot auszusprechen. Das Landgericht hatte der Räumungsklage noch stattgegeben und die Mieterin auf Vollstreckungsschutzanträge gem. § 765a ZPO verwiesen. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, da der Gesundheitszustand bereits im Erkenntnis- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sei. Damit hat der Senat an seine erste Entscheidungen zur Kündigung aus wichtigem Grund (BGH WuM 2005, 125 = ZMR 2005, 183 = GE 2005, 296 = NZM 2005, 300 = MietPrax-AK, § 543 BGB Nr. 1 m. Anm. Eisenschmid) angeknüpft. Bereits damals hatte der Senat entschieden, dass die Belange des Mieters sowie des Vermieters unter Berücksichtigung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes im Erkenntnisverfahren abzuwägen seien. Damals ging es um einen 77 Jahre alten, alleinstehenden Mieter, der an einer schweren psychischen Erkrankung litt. Er litt unter Verfolgungswahn und hörte ständig Stimmen gegen die er sich durch massiven Lärm zu erwehren versuchte. Damals stand bereits im Erkenntnisverfahren fest, dass bereits der Erlass eines Räumungsurteils zu einer Selbstmordgefahr führen konnte.

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