Anmerkungen aus der Rechtswissenschaft zu einer voranschreitenden "Reform der Form"

I. Modernisierung der Ziviljustiz und von Zivilverfahren

Die Elektronifizierung der (Zivil-)Justiz und von (zivilgerichtlichen) Verfahren, die zuletzt insbesondere durch die Startschwierigkeiten des "besonderen elektronischen Anwaltspostfachs" (kurz: beA) größere mediale Aufmerksamkeit hervorgerufen hat (s. zuletzt Anwaltsmagazin ZAP 17/2018, S. 864 f.), ist ein wichtiger Schritt für deren notwendige Modernisierung. Unter dem Begriff der "Elektronifizierung" (der – soweit bekannt – vom ZAP-Mitbegründer Peter Gilles in die Prozessrechtswissenschaft eingeführt worden ist, vgl. seinen Beitrag "Zur beginnenden Elektronifizierung von Zivilgerichtsverfahren und ihrer Verrechtlichung in der deutschen Zivilprozeßordnung durch Sondernormen eines neuen "E-Prozeßrechts'", in FS Janos Nemeth, 2003, S. 273 ff.) der Justiz ist nachfolgend umfassend der Elektronische Rechtsverkehr (ERV) zu verstehen (vgl. zu dessen Entwicklung unter II.). Dieser umfasst zum einen die elektronische Information und Kommunikation zwischen den Beteiligten gerichtlicher Verfahren, zum anderen (als "E-Justiz" bzw. "e-justice") den EDV-Verkehr innerhalb und mit der Justiz bzw. der Justizverwaltung."

Eine aktuelle wie künftige Herausforderung für (Zivil-)Rechtspraxis wie -dogmatik stellt die "elektronifizierte" (Zivil-)Justiz dar. Dabei fällt auf, dass vorrangige Grundsatzfragen der Digitalisierung des (Zivil-) Prozessrechts (dazu im Überblick III.) bisher kaum einmal einer rechtswissenschaftlichen wie rechtspolitischen Debatte – mit dem Ziel einer Modernisierung der Justiz – zugeführt worden sind (s. etwa jüngst NJW-aktuell 34/2018, S. 12: "Oft ertönt der Ruf nach einem modernen oder zeitgemäßen Prozessrecht. Die ZPO sei veraltet, heißt es."). Vielmehr hat der Gesetzgeber mit einem (ständig erweiterten) normativen "Flickenteppich" nur die Rechtsgrundlagen des ERV bei im Übrigen weitgehend unveränderten Inhalten der Verfahrensordnungen geschaffen, die wiederum zahlreiche neue Fragen für Rechtspraxis und Rechtswissenschaft aufwerfen. Die Rolle des ERV für die Weiterentwicklung des (Zivil-)Verfahrensrechts soll daher zumindest skizzenhaft bilanziert werden (IV.).

II. Grundlagen und normative (Weiter-)Entwicklung des ERV

Angesichts der aktuellen Aktivitäten des ERV-Gesetzgebers (s. nur Rebehn, "Kraftakt Digitalisierung", NJW-aktuell 42/2018, S. 16) ist zunächst daran zu erinnern, dass die ersten Anfänge einer solchen "Elektronifizierung" bereits aus den Jahren 2001 bis 2005 stammen:

Die ersten Reformschritte wurden mit dem

  • "Formvorschriftenanpassungsgesetz" (s. 1.),
  • "ZPO-Reformgesetz" (vgl. 2.),
  • "Zustellungsreformgesetz" (unter 3.) sowie dem
  • "Justizkommunikationsgesetz" (dazu 4.) verwirklicht (s. dazu m.w.N. N. Fischer, Justiz-Kommunikation, 2004, S. 5 ff.; aktuelle ERV-Entwicklung m.w.N. auch Bernhardt, NJW 2015, S. 2775 ff.),

bevor die jüngsten größeren ERV-Reformschritte (nach der Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, die ebenfalls zu neuen ERV-Normen geführt hat, s. 5.) mit Wirkung zum 1.1.2018 (dazu 6., 7.) verwirklicht worden sind.

 

Hinweis:

Hinzuweisen ist hier auch auf das "Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr" (Elektronisches Geschäftsverkehrsgesetz, EGG) vom 14.2.2001 (BGBl I, S. 3721, 3724), in Kraft seit dem 21.12.2001, das bzgl. der Zivilprozessordnung seinerzeit (allein) zu einer Novellierung von § 1031 Abs. 1 und Abs. 5 ZPO (Form der Schiedsvereinbarung) geführt hatte.

1. Formvorschriftenanpassungsgesetz (2001)

Im Wesentlichen begonnen hatte die "Elektronifizierung" des Verfahrensrechts mit dem "Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr" vom 13.7.2001 (BGBl I. S. 1542, kurz: "Formvorschriftenanpassungsgesetz"): Das (sog.) FormVorAnpG hat zunächst die ersten normativen Grundlagen für die Einreichung sog. elektronischer Schriftsätze bei Gericht geschaffen (vgl. dazu m.w.N. Hähnchen NJW 2001, S. 2830 ff.; Vehslage DB 2000, 1801 ff.; Vehslage AnwBl 2002, 86 ff.; zur Änderung von Formvorschriften des BGB durch das FormVorAnpG u. insb. zur elektron. Form gem. § 126a BGB m.w.N. Krüger/Bütter MDR 2003, 181 ff., 181; Schmidl CR 2002, 508 ff.) und dient zugleich der Umsetzung von Art. 9 der EG-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vom 8.6.2000, RL 2000/31/EG (ABl EG Nr. L 178, S. 1).

 

Hinweis:

Hervorhebenswert sind insbesondere die damit seinerzeit verbundenen Änderungen der ZPO (vgl. §§ 130, 130a, 133, 299, 299a, 371 ZPO sowie dem mittlerweile wieder weggefallenen § 292a ZPO). Dabei wurden mit den Regelungen der § 299 Abs. 3 ZPO und § 299a ZPO erste Ansätze für die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung bei Gericht geschaffen. Die damalige Neuregelung des § 292a ZPO (a.F.) etablierte erstmals eine Anscheinsbeweisregelung dahingehend, dass eine Willenserklärung, die in der Form des § 126a BGB vorliegt, mit dem Willen des jeweiligen Inhabers des Signaturschlüssels abgegeben wurde (s. m.w.N. Fritsche NJ 2002, 169 ff., 176 f.; Hoffmann NJW 2003, 2576 ff., 2577).

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