Ist die eine Art der Nacherfüllung nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen oder kann der Unternehmer diese nach § 275 Abs. 2 oder 3 bzw. nach § 439 Abs. 4 S. 1 BGB verweigern, kann er nach § 475 Abs. 4 S. 1 BGB die andere Art der Nacherfüllung nicht wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten nach § 439 Abs. 4 S. 1 BGB verweigern.

1. Ausschluss der Einrede der absoluten Unverhältnismäßigkeit

Für das Recht des Verbrauchsgüterkaufs statuiert § 475 Abs. 4 S. 1 BGB eine Sonderregelung zu § 439 Abs. 4 BGB und schließt dabei die Leistungsverweigerung des Verkäufers wegen einer "absoluten Unverhältnismäßigkeit" aus. Die Regelung erfasst auch jene Fälle, in denen beide Alternativen der Nacherfüllung nach § 437 Nr. 1 BGB gem. § 439 Abs. 1 BGB zwar möglich sind, aber jeweils für sich genommen zu unverhältnismäßigen Kosten führen (RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 43).

§ 475 Abs. 4 S. 1 BGB statuiert damit einen Ausschluss der Einrede der absoluten Unverhältnismäßigkeit – und zwar für folgende Konstellationen:

  • Fälle, in denen nur noch eine Nacherfüllungsart verbleibt, weil die andere unmöglich oder relativ unverhältnismäßig ist, und
  • Fälle, in denen jede Nacherfüllungsart (für sich betrachtet) unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht.

§ 475 Abs. 4 BGB setzt Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VerbrGKRL in der Auslegung der Entscheidung des EuGH um (Rs. Weber/Putz a.a.O.): Danach ist es ausgeschlossen, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die einzig mögliche Art der Abhilfe wegen ihrer absoluten Unverhältnismäßigkeit zu verweigern. Der Unionsgesetzgeber wollte nach Ansicht des EuGH dem Verkäufer das Recht zur Verweigerung der Nachbesserung des mangelhaften Verbrauchsguts oder der Ersatzlieferung nur im Fall der Unmöglichkeit oder einer relativen Unverhältnismäßigkeit gewähren. Erweist sich nur eine dieser beiden Abhilfen als möglich, kann der Verkäufer die einzige Abhilfe, durch die sich der vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts herstellen lässt, somit nicht verweigern – weswegen die Altregelung des § 439 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BGB a.F. für den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs nicht europarechtskonform war (RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 43).

2. Ausnahme: Unverhältnismäßige Kosten der einzig möglichen Art der Nacherfüllung

Der EuGH hat in seiner Entscheidung eine Ausnahme (s. NJW 2011, 2269, Rn 74) von dem nun in § 475 Abs. 4 S. 1 BGB normierten Grundsatz, dass der Unternehmer die einzig mögliche Art der Nacherfüllung nicht wegen ihrer absoluten Unverhältnismäßigkeit verweigern kann, nur für den Fall zugelassen, dass die einzig mögliche Art der Nacherfüllung aufgrund der Aus- und Einbaukosten zu unverhältnismäßigen Kosten führen würde: Art. 3 Abs. 3 VerbrGKRL schließe es nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten, falls erforderlich, auf einen "angemessenen Betrag" beschränkt werde.

Diese Ausnahme setzt § 475 Abs. 4 S. 2 BGB für beide Arten der Nacherfüllung – nämlich für die Mangelbeseitigung wie für die Lieferung einer mangelfreien Sache – hinsichtlich aller Aufwendungen um, die zu einer Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung führen können (RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 44). § 475 Abs. 4 S. 2 BGB verschafft dem Unternehmer (Verkäufer) ein als Einrede ausgestaltetes, beschränktes Leistungsverweigerungsrecht: Ist die andere Art der Nacherfüllung wegen der Höhe der Aufwendungen nach § 439 Abs. 2 oder § 439 Abs. 3 S. 1 BGB "unverhältnismäßig", kann der Unternehmer gem. § 475 Abs. 4 S. 2 BGB den Aufwendungsersatz auf einen "angemessenen Betrag" beschränken. Das beschränkte Leistungsverweigerungsrecht umfasst die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen – insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten nach § 439 Abs. 2 BGB (RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 44).

Bei der Bemessung dieses "angemessenen Betrags" sind nach § 475 Abs. 4 S. 3 BGB insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Die Regelung folgt den Vorgaben des EuGH, der entschieden hatte, dass zum einen der Wert, den die Kaufsache hätte, wenn sie mangelfrei wäre, und die Bedeutung des Mangels bei der Berechnung zu berücksichtigen sind. Der Zweck der VerbrRKRL, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, müsse – so der EuGH (NJW 2011, 2269) – ebenfalls Berücksichtigung finden. Zugleich dürfe das Nacherfüllungsrecht des Verbrauchers durch die Beschränkung des Anspruchs auf Ersatz der Aus- und Einbaukosten in der Praxis nicht ausgehöhlt werden.

Nach Ansicht des Gesetzgebers (RegE, BT-Drucks 18/8486, S. 44) hat dies zur Folge, dass sich der angemessene Betrag nicht allein am Kaufpreis orientieren darf: Bei der Bedeutung des Mangels werde es regelmäßig darauf ankommen, ob der Mangel der eingebauten Sache deren Verwendungsfähigkeit beeinträchtigt oder lediglich ästhetischer Natur ist. Einem lediglich ästhetischen Mangel der Kaufsache komme zumeist eine deutlich geringere Bedeutung zu, als wenn die Kaufsache ihre bestimmungsgemäße Funktion infolge des Mangels nicht oder nur eingeschränkt erfüllen würde.

 

Hinweis:

Bei Vorliegen eines rein ästhetischen Mangels sei es im Einzelfall ...

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