Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG – abschließende Stellungnahme

Mit Urteil vom 25.5.2016 (2 AZR 345/15, NZA 2016, 1140) hat der Zweite Senat des BAG – der sog. Kündigungsschutzsenat – seine Rechtsprechung geändert und die Grundsätze (BAG, Urt. v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03) aufgegeben. Die Entscheidung ist zu einer Änderungskündigung ergangen, sie hat jedoch universellen Charakter und gilt für jede einer Kündigung vorausgehende Betriebsratsanhörung. Nach der neuen Rechtsprechung liegt nun eine abschließende, das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG vorzeitig beendende Stellungnahme des Betriebsrats nur dann vor, wenn der Arbeitgeber sich aufgrund besonderer Anhaltspunkte darauf verlassen darf, der Betriebsrat werde sich bis zum Ablauf der Frist des § 102 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 BetrVG nicht mehr äußern.

Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung. Mit Schreiben vom 20.11.2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis des Klägers zu kündigen und ihm dessen Fortsetzung zu geänderten Bedingungen anzubieten. Die Betriebsratsvorsitzende erklärte mit Schreiben vom 26.11.2012, das Gremium habe "beschlossen, gegen die beabsichtigte Änderungskündigung Widerspruch einzulegen". Zur Begründung führte sie u.a. aus, der Betriebsrat halte das Änderungsangebot mit der signifikanten Abschmelzung des Gehalts nicht für zumutbar. Im Schlusssatz des Schreibens heißt es: "Um eine abschließende Abwägung der Gehaltseinbußen durchführen zu können, bittet der Betriebsrat D um weitere Informationen: wie hoch ist das derzeitige Bruttojahresgrundgehalt ... [des Klägers]?"

Die Beklagte ergänzte ihre Angaben gegenüber dem Betriebsrat nicht. Mit Schreiben vom 27.11.2012, das dem Kläger noch am selben Tag übergeben wurde, kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2013 und bot ihm zugleich an, es ab dem 1.7.2013 als "Yield Practice Project Manager Grade 39" fortzusetzen. Der Kläger nahm das Änderungsangebot nicht an und erhob fristgemäß Kündigungsschutzklage.

Die Revision hatte bezüglich des Kündigungsschutzantrags Erfolg, im Übrigen hatte sie im Sinne der Zurückverweisung Erfolg. Der gegen die Kündigung vom 27.11.2012 gerichtete Beendigungsschutzantrag i.S.v. § 4 S. 1 KSchG ist begründet. Diese Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Sie wurde vor Ablauf der dem Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 BetrVG eingeräumten Wochenfrist erklärt, ohne dass dieser zuvor eine das Anhörungsverfahren abschließende Stellungnahme abgegeben hätte. Durch das in § 102 BetrVG ausgestaltete Beteiligungsverfahren wird dem Betriebsrat vor dem Kündigungsausspruch eine Einflussnahme auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers eingeräumt. Die vom Betriebsrat vorgebrachten Einwendungen sollen den Arbeitgeber ggf. dazu veranlassen, von seinem Kündigungsvorhaben Abstand zu nehmen oder es doch in geänderter Form zu verwirklichen, etwa anstatt einer Beendigungs- "nur" eine Änderungskündigung zu erklären oder dem Arbeitnehmer mit einer Änderungskündigung einen geringeren Eingriff in seinen "Besitzstand" anzutragen. Soweit dieser präventive Kündigungsschutz nicht durchgreift, kann der Betriebsrat mit einem Widerspruch die individuelle Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess verbessern (§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 2 KSchG) und diesem unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ermöglichen.

Einer Äußerung des Betriebsrats während des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG kommt indes nur fristverkürzende Wirkung zu, wenn ihr der Arbeitgeber unzweifelhaft entnehmen kann, dass es sich um eine abschließende Stellungnahme handelt. Erklärt der Betriebsrat dies nicht ausdrücklich, ist der Inhalt seiner Mitteilung durch Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Diese muss eindeutig ergeben, dass der Betriebsrat sich bis zum Ablauf der Anhörungsfrist nicht noch einmal – und sei es "nur" zur Ergänzung der Begründung seiner bereits eröffneten Entschließung – äußern möchte. Der Arbeitgeber muss aufgrund der bisherigen Äußerung des Betriebsrats davon ausgehen können, dieser werde unter keinen Umständen mehr tun als bereits geschehen.

Besondere Anhaltspunkte für eine abschließende Stellungnahme liegen regelmäßig vor, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber mitteilt, er stimme der beabsichtigten Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zu oder erklärt, von einer Äußerung zur Kündigungsabsicht abzusehen. In anderen Fällen wird der Arbeitgeber nur von einer abschließenden Stellungnahme ausgehen können, wenn aus seiner Sicht eine weitere Äußerung des Betriebsrats zur Kündigungsabsicht ausgeschlossen ist. Dazu ist es nicht ausreichend, dass der Betriebsratsvorsitzende dem Arbeitgeber das Ergebnis der Beschlussfassung des Gremiums mitgeteilt hat. Dies schließt für sich allein genommen eine erneute Beschlussfassung des Betriebsrats oder eine Ergänzung der mitgeteilten Beschlussgründe durc...

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